Prometheus (2)

Welttheater des Schalls
Carl Orffs Prometheus bei der Ruhrtriennale

Lemi Ponifasio gilt als Ausnahmekünstler. Er stammt aus Samoa und ist Performance-Künstler und Choreograph, aber auch Schamane und Stammesoberhaupt. Seine Inszenierungen wirken höchst ästhetisch und modern.
ln seinen Bühnenräumen spielt die Dunkelheit eine große Rolle, seine Choreographien haben etwas Universales, er deutet nicht psychologisch. Das verbindet seine Ästhetik mit den Bühnenwerken des Komponisten Carl Orff. Dessen selten aufgeführtes Werk "Prometheus" hat Ponifasio jetzt in der Kraftzentrale Duisburg in Szene gesetzt. Das Publikum blickte in einen 140 m tiefen Bühnenraum. Mit einer komplexen Klangregie wurde er für das Publikum akustisch erfahrbar.

Von dem bayerischen Komponisten Carl Orff ist vor allem seine Carmina Burana bekannt. Dabei ist dieses Stück nur eines von 15 Werken, die Orff für die Bühne geschrieben hat. Nicht anders ging es Lemi Ponifasio, der Orffs Musik erstmals während eines Fußballspiels begegnet sei, bei dem in der Halbzeitpause Musik aus den Carmina Burana gespielt wurde. Und auch der Dirigent Peter Rundei sagt, dass er bislang immer einen großen Bogen um die Musik von Carl Orff gemacht habe, weil er sich besonders der Klassischen Moderne und der Avantgarde des 20. und 21. Jahrhunderts verpflichtet fühle. Orff hat im selben Zeitraum komponiert, sein Prometheus wurde 1968 in Stuttgart uraufgeführt, aber seine Musik erscheint immer noch singulär in den musikalischen Zeitläuften. Wie Ponifasio entwirft auch Orff keinen dramatischen Verlauf, seine Protagonisten werden nicht psychologisch ausgedeutet, in seiner Musik gibt es keine thematischen Entwicklungen.


Ohne Pause und auf Altgriechisch

Orffs Musik ist sehr perkussiv und auch im "Prometheus" dominiert das Schlagwerk. Das Orchester ist ungewöhnlich besetzt: vier Flügel, die achthändig gespielt werden, zwölf Schlagzeuger bedienen eine großes Instrumentarium an Perkussionsinstrumenten, neun Kontrabässe, Harfe, dazu sechs Flöten und Oboen, dieselbe Anzahl an Trompeten und Posaunen sowie eine Orgel. Dazu kommen ein Frauenchor, ein Gesangs- und ein Tanzensemble. Orff hat den Prometheus-Mythos vertont, so wie er den Text bei Aischylos vorgefunden hat. Sänger und Sprecher müssen also in altgriechischer Sprache singen und deklamieren. Es ist zum einen eine enorme Herausforderung, den Text zu lernen und zum anderen, sich in der Aktion auch noch darüber bewusst zu sein, was gerade gesprochen wird. in der Inszenierung wurde auf Übertitel verzichtet und der Text somit als Sprachmusik behandelt. Zur Unterstützung der Interpreten waren Monitore unterhalb der ersten Zuschauerreihe angebracht, auf denen der Text und die rhythmische Notation mitliefen. Etwa zweieinhalb Stunden ohne Pause wurde das Publikum in der Duisburger Kraftzentrale gefordert.


140 Meter Bühnenraum

Die Kraftzentrale in Duisburg gehört zu den etablierten Orten der Industriekultur im Ruhrgebiet und liegt auf dem Gelände des ehemaligen Thyssen-Hüttenwerks in Meiderich. Früher wurde in dieser Halle Strom und heiße Luft für den Betrieb der Hochöfen generiert. Für die PrometheusInszenierung ist die Halle in einen Bühnenraum von 140 Meter Tiefe und eine steil ansteigende Zuschauertribüne aufgeteilt worden. Im vorderen Drittel des Bühnenraums ist eine Spielfläche mit Glasplatten auf schwarzem Grund aufgebaut. An den
Stoßkanten der Glasplatten sind weiße LED-Leuchtschnüre in Querrichtung eingelassen. Wenn diese in Betrieb sind, entstehen grüne Reflektionen durch die Brechung des Lichts im Glas. Rechts von der Spielfläche ist eine Wand aufgebaut, deren Oberfläche felsenartig modelliert ist. Oben auf diesem Aufbau ist die Tribüne für das Orchester eingelassen. Von den oberen Reihen des Zuschauerhauses ist es zu sehen.


Dunkelheit, weißes Licht und Schatten

Das Licht hat Helen Todd gestaltet, mit der Ponifasio schon seit zwanzig Jahren zusammenarbeitet. Es ist vor allem dunkel in der Halle, nur weißes Licht mit hoher Farbtemperatur wird eingesetzt. Dabei wurde bis ins kleinste Detail gestaltet. Sogar die Noten der Orchestermusiker, die gelb eingebunden sind, mussten weiß eingebunden werden, damit nicht zu Beginn des Stückes das linke aufgeklappte Deckblatt einen Gelbton in das Gesamtlicht mischt. Auch die Pultlampen wurden mit entsprechenden Filtern versehen. Außerdem wurden Videoprojektoren als Lichtquellen eingesetzt. So ist vor der Bühnenfläche am Boden ein Projektor mit entsprechend großer Lichtstärke installiert, um die hintere Wand auszuleuchten, also eine Entfernung von 140 Metern zu überbrücken. Zu Beginn des Stücks gibt es eine eindrucksvolle Einstellung. Kratos und Bia schreiten aus dem Dunkel nach vorn und dabei werden ihre Schatten an der rückwärtigen Wand immer größer.


Das Drama als Ritual

Vorn links auf der Spielfläche sitzt Prometheus, im Licht eines Profilscheinwerfers. Dort bleibt er die gesamte Spieldauer sitzen. Eine große Leistung des Baritons Wolfgang Newerla, der lange Sprech- und Gesangspartien zu meistern hatte. ln der Oper gibt es nur zwei Gesangspartien, die des Prometheus und die der Io. Alle anderen Partien sind Sprechrollen. Prometheus und Io wurden beide von einem Sänger, einer Sängerin und einem Tänzer, einer Tänzerin dargestellt. Der Tänzer-Prometheus liegt im hinteren Teil der Bühne auf einer Art Opferaltar. Insgesamt wird fast komplett auf eine szenische und gestische Gestaltung verzichtet. Ponifasio inszeniert die Geschichte als Ritual. Er sieht das Stück als „eine Reihe von Reden. Die Redner kommen und sagen, was sie zu sagen haben. Theater und Kunst ermöglichen es uns, dass wir uns als Teil des Kosmos erfahren, bewusst da zu sein. Und Orffs Prometheus ist ein Mythos. Durch die Auseinandersetzung mit einem Mythos können wir eine umfassendere Vorstellung vom Universum und von dem, wer wir sind, bekommen. Es ist eine andere Dimension der Realität, die wir sonst nicht wahrnehmen. Und das ist es, wozu Orff und der Mythos uns auffordern.“

Bild

Musikalisch war eine hervorragende Leistung zu erleben, die durch eine ausgezeichnete elektroakustische Klangregie unterstützt wurde. Dafür war Norbert Ommer verantwortlich. Auf den Punkt gebracht, nennt er das akustische Konzept der Inszenierung „Das Gesetz der ersten Wellenfront“. Ausgeführt bedeutet das, dass der akustisch problematische Raum nicht durch Akustikbauelemente neutral gestaltet wird und auf dieser neu gewonnenen Akustik dann elektroakustisch wieder aufgebaut wird, sondern dass jedes Schallereignis als Signal mit all seinen durch Eigenklang und Raum bedingten Parametern in die Klangregie eingefügt wird. Ziel ist es dabei einerseits, dass für den Hörer Schallereignis und Schallquelle zusammenfallen, sowohl hinsichtlich der Richtung als auch in Bezug auf die Entfernung. Die über die Bühnenfläche und auch um den Zuschauerraum angeordneten Lautsprecher-Cluster dienen nicht zum Ausgleich von Laufzeitunterschieden, sondern dazu, den Raumklang erfahrbar zu machen. Und dieses Konzept geht sehr gut auf. Nimmt man die Tiefe der Bühne in der Dunkelheit optisch nur selten wahr, so ist der Raum akustisch doch fortwährend präsent.


Ein grosser Klangraum

Die Klangregie folgt also dem Konzept, den architektonischen Raum akustisch erfahrbar zu machen. Der hintere Raum wird auch tatsächlich als Schallraum genutzt, indem Lautsprecher in diesen Raum abstrahlen. Um die Wucht der Orffschen Klangkomposition auch körperlich zu spüren, sind unter der Zuschauertribüne Lautsprecher eingesetzt. Aufbauend auf dieser elektroakustischen Unterstützung, wird der Klang an einigen Stellen aber auch elektroakustisch gestaltet. Der Auftritt des Okeanos beispielweise wird von solchem vom Klang unterstützt. Der Orchesterklang bewegt sich mit ihm über die Bühne. Statt mechanischer Windmaschinen wird eine Wind-Aufnahme eingespielt und kann so flexibel räumlich eingesetzt werden. Die Orgel ist ein Keyboard, dessen Signal in den hinteren Raum projiziert wird und so einen charakteristischen, raumfüllenden Orgelklang erhält. Elektroakustik und das Spiel des Orchesters gehen mithin eine enge Symbiose ein, die für das Publikum als raumfüllender Klang wahrgenommen wird.


Der Tonmeister als Interprest

Jedes Orchesterinstrument ist mikrophoniert und auch Sprecher und Sänger sind mit Mikroports ausgestattet. Zusammengeführt werden die Signale in einer digitalen Mischkonsole. Hier stehen alle Regler auf Null, nachgeregelt wird nur in Ausnahme fällen. ln der Partitur hat Nobert Ommer die Punkte markiert, an denen elektroakustische Eingriffe nötig sind. Eine spontane Nachregelung einzelner Stimmen ist in einer digitalen Konsole fast nicht möglich, weil das Erreichen der entsprechenden Ebene oft so lange dauern kann, dass der zu regelnde Teil schon wieder verklungen ist. Das Ergebnis dieser behutsamen Klangregie ist, dass die elektroakustische Verstärkung als solche nicht hörbar ist.
Norbert Ommer versteht seine Arbeit als eine künstlerische und auch interpretierende Aufgabe. Mit dem Dirigenten Peter Rundel arbeitet er schon lange zusammen. So war es auch denkbar, dass Ommer die Orchesteraufstellung festgelegt hat. Diese überrascht auf den ersten Blick. Direkt vor dem Dirigentenpult sind zum Beispiel die Flügel aufgebaut. Ommer hat das Orchester so aufgestellt, dass sich alle Instrumentalisten gut gegenseitig hören können und so wenig Verstärkung wie möglich durch Monitore notwendig ist. Das Orchester setzte sich aus drei Klangkörpern zusammen, dem Ensemble musikFabrik, dem Perkussionsensemble SPLASH und Mitgliedern der Orchesterakademie NRW.


Musik auf den Punkt

Für den Dirigenten ist die Inszenierung eine riesige Herausforderung. Sänger, Sprecher und auch der Chor sind oft über den Bühnenraum verteilt, sodass Distanzen bis zu 70 Metern überwunden werden müssen. Dazu fordert die rhythmische Anlage und Instrumentation der Komposition eine unglaublich präzise Spielweise, sonst gehen der Sinn und Reiz der Musik verloren. Und das hatte man sich sicher erhofft, dass die Inszenierung durch Lemi Ponifasio mit seiner auf das Universale setzenden Bühnensprache, den Orffschen Musikkosmos mit seinem elementaren Urklang in Szene setzen würde. ln der Partie der Io werden deutliche Bezüge auf Richard Wagners Musikdrama hörbar, in perkussiven Passagen oder auch Passagen mit reiner stimmlicher Deklamation wird durchaus auch die Vorwegnahme der Minimal Music hörbar. Wenn man sich aber vergegenwärtigt, dass Prometheus 1968 uraufgeführt wurde, wird man stellenweise den Eindruck nicht los, dass Orff eben nicht auf der Höhe seiner Zeit komponiert hat. Und das kann auch die Inszenierung bei aller Perfektion und Modernität nicht wettmachen.

BTR, Antje Grajetzky, 05/2012