PMA Portrait

Kreativer Freigeist

Norbert Ommer

Mit der Rubrik „Köpfe“ möchte pma zukünftig Persönlichkeiten der Veranstaltungsbranche vorstellen, die hinter der Konzeption, Planung und Technik bedeutender Projekte und Produktionen verantwortlich zeichnen, durch ihr Schaffen neue Horizonte eröffnen und Maßstäbe setzen.

Zum Auftakt dieser Reihe präsentieren wir Ihnen den Tonmeister, Sounddesigner und Klangregisseur Norbert Ommer, der im vergangenen Jahr unter der Regie von Robert Wilson, die akustische Umsetzung von Helmut Lachenmanns Opern-Inszenierung „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“, zur Ruhr-Triennale in der Jahrhunderthalle Bochum realisiert hat.
Die Komplexität des Wirkungsgrades Norbert Ommers wandelt dabei stetig zwischen den Aufgabengebieten eines Toningenieurs, des studierten Tonmeisters und denen eines kreativen Sounddesigners. Diese als Klangregisseur bezeichnete Spezies beschreibt eine weitestgehend noch unbeleuchtete wie überschaubare Szene, deren globales interdisziplinäres Schaffen keinerlei gewerkliche Einordung zulassen. Dies wird nicht zuletzt auch an den außergewöhnlichen Projekten und den damit verbundenen Produktionen deutlich, die sowohl in technischer, räumlich physikalischer wie bisweilen auch finanzieller Hinsicht jegliche konventionellen Grenzen der Machbarkeit zu ignorieren scheinen.

Wodurch definiert sich die Tätigkeit eines Klangregisseurs im Vergleich zum Handwerk eines Tonmeisters und wie ist diesbezüglich Ihr persönlicher Werdegang?

Norbert Ommer: Für mich geht die Arbeit des Klangregisseurs über die des Tonmeisters hinaus. Insbesondere, wenn wir das klassische Arbeitsfeld eines Tonmeisters betrachten, wo dieser quasi als Aufnahmeleiter fungiert. In diesem Sinne bedeutet Klangregie die Synthese aus den Aufgabengebieten eines Sounddesigners, Toningenieurs und Tonmeisters. Dies beziehe ich auf die Arbeit, die zu tun ist, bevor ich den Konzertsaal oder den Proberaum betrete wie auch auf den Arbeitsprozess bei Proben und Konzerten.
Zunächst gilt es ein Sounddesign zu erstellen, somit also um die Arbeit eines Klanggestalters. Ich betrachte Sounddesign als kompromisslose Umsetzung von Partitur, Raumakustik und Elektronik. Wenn ich ein Sounddesign erstelle, so gibt es zwei große Aufgabengebiete - die Erstellung eines Anforderungsprofils sowie die Projektierung.

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Für die Erstellung eines Anforderungsprofils sind folgende Dinge zu berücksichtigen:

1. Gespräch mit dem Komponisten
(welche Klangvorstellungen gibt es; hat der Komponist Erfahrung mit Elektronik; was sind seine Ziele; gibt es Angaben zur Klangästhetik)

2. Sichtung der Partitur
(welche technischen Angaben sind zu finden; gibt es elektronische Klangquellen; gibt es Instrumental- oder Vokalsolisten; ist die Elektronik notiert; welche Besetzung liegt vor; was wird ohne die Zuhilfenahme von Elektronik zu hören sein)

3. Mögliche Klangbeispiele hören
(Konzertmitschnitte oder Studioaufnahmen; Midifiles; Aufnahmen anderer Kompositionen des gleichen Komponisten)

4. Zeitpläne erstellen und/oder sichten
(Zeiten für Einrichtung, Proben, Umbauten, Konzert und Tournee)

5. Budget planen und/oder beachten
(welches Budget ist gegeben, um elektronische Mittel einzusetzen und welches Budget ist notwendig, um die Vorstellungen des Komponisten umzusetzen)

6. Raumakustische Betrachtung
(in welchen Räumen soll die Komposition aufgeführt werden und welcher Aufbau steht zur Verfügung, d.h. welche Merkmale sind mit Hilfe der geometrischen-, statistischen-, wellentheoretischen und psychologischen Betrachtung der Raumakustik festzustellen)

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Bei der Projektierung stellen sich folgende Aufgaben:

1. Einrichtung der Partitur
2. Definition der Arbeitsinstrumente
(Erstellung einer Equipmentliste, d.h. eine Entscheidung darüber, welche tontechnischen Instrumente Verwendung finden, also welche Mikrofone, Mischpulte und Lautsprecher zur Anwendung kommen. Es gilt hier auch sog. sonstige Arbeitsinstrumente zu projektieren, wie z.B. die Stromversorgung aller Verbraucher, die Verwendung von akustischen Hilfsmitteln etc. . All dies sollte unter Berücksichtigung von Budget, Zeitplan, Besetzung, Anforderungen aus der Partitur und Klangästhetik geschehen.)

3. Logistische Planung
(Zeiten für Einrichtung; Volumen und Gewicht der verwendeten Technik; Personalplanung)

4. Raumakustische Projektierung
(welche akustischen Vorgaben sind zu formulieren bei der Verwendung von Elektroakustik bei Proben und Konzert.
Die akustischen Anforderungen sind z.B. das Volumen des Raumes, die Raumform, die Abmessungen der Bühne und des Zuschauerraumes, sowie die Nachhallzeit. Auch die Anwendung von Modellmesstechnik, Computermodellen und Simulationen des Raumes und / oder der Elektroakustik sind Teil der raumakustischen Projektierung.) Spätestens bei der Projektierung gibt es also eine Überschneidung der Tätigkeitsmerkmale eines Sounddesigners,eines Toningenieurs und eines Tonmeisters. Auch an dem Punkt, an dem die Vorbereitung aufhört und ich den Probenraum oder Konzertsaal als Klangregisseur betrete, finden derartige Überlagerungen statt.
Klangregie definiert sich nach meiner Auffassung als hörbare Architektur unterschiedlicher Klangwelten mit individuellen Klangvorstellungen. Die Aufgaben eines Klangregisseurs bei Proben und Konzerten möchte ich wie folgt beschreiben:

1. Anwendung der raumakustischen Projektierung
(stimmen die raumakustischen Parameter mit den projektierten Daten überein, wie z.B. Nachhallzeit und Hörbarkeit des Raumes)

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2. Überprüfung der Arbeitsmittel
(Inbetriebnahme und Einrichtung/ Justierung aller elektronischen Mittel unter technischen und klangästhetischen Gesichtspunkten)

3. Messtechnische Erfassung der Raumparameter sowie eine Überprüfung mit Hilfe des Gehörs (Messung von Amplitude über der Frequenz und über der Zeit; Festlegung der sog. akustischen Mitte)

4. Herstellung einer Proben- und Konzertsituation
(Einrichten von Kommunikationsmitteln; Herstellung einer Hörbarkeit auf der Bühne)

5. Durchführung von Probe und Konzert unter Beachtung aller vorher genannten Aspekte (es gilt darüber hinaus die Partitur zu lesen; den Kontakt zu Komponisten und Dirigenten zu halten; Kontrolle aller verwendeten technischen Einrichtungen; akustische Überprüfung des Raumes unter Zuhilfenahme von Messinstrumenten sowie vor allem durch das Gehör und dies an repräsentativen Hörorten; es ist unbedingt sicherzustellen, dass eine imaginäre akustische Adaption auf die angenommenen Parameter des Aufführungsortes bzw. der Konzertbedingungen vorgenommen werden).
Auch hier ist der Klangregisseur ein Sounddesigner, Toningenieur und Tonmeister zugleich. Und darin liegt für mich auch der besondere Anreiz und Spaß, nämlich die ungewöhnlichen Gestaltungsmöglichkeiten durch die Anwendung der verschiedenen Disziplinen zu nutzen.

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Arbeitet man als Klangregisseur zu einem gewissen Teil auch kompositorisch an einem Werk mit – in welchem musikstilistischem Umfeld bewegen Sie sich vorwiegend?

Norbert Ommer: Ja tatsächlich, das ist eine interessante Frage.
Man kann die Arbeit des Klangregisseurs durchaus auch als kompositorisch beschreiben. Der Klangregisseur ist aber kein Komponist, sondern ist eher als ein Übersetzer des Komponisten zu verstehen.
Er kann Klänge hörbar machen, die ohne Zuhilfenahme von Elektronik nicht zu hören sind. Er kann ganz eigene Klangwelten schaffen, sozusagen imaginäre Räume.
Ich verstehe meine Aufgabe so, dass ich nach bestem Wissen versuche, die Ideen und Klangvorstellungen des Komponisten umzusetzen und dies in den ungewöhnlichsten Umgebungen.
Mein musikalisches Umfeld bewegt sich derzeit, wenn wir die klassischen Definitionen verwenden, in der Klassischen Musik und Neuen Musik sowie im Jazz.
Im Bereich der Klassischen Musik waren es vor allem Projekte mit Zubin Meta, Kurt Masur und den Berliner Philharmonikern unter Leitung von Sir Simon Rattle an denen ich mitgewirkt habe.
Im Bereich der Neuen Musik gilt es vor allem meine Arbeit als Klangregisseur des Ensemble Modern zu unterstreichen sowie die Zusammenarbeit mit Komponisten wie Karl Heinz Stockhausen, Helmut Lachenmann, Peter Eötvös, Heiner Goebbels und Steve Reich, um nur einige wenige zu nennen.
Im Bereich des Jazz bin ich seit vielen Jahren Klangregisseur für die WDR Big Band. Aus diesem Kontext entstand z.B. auch die Arbeit mit Musikern wie Lalo Schifrin, Patti Austin, Michael Brecker, Joe Zawinul, Vince Mendoza und vielen anderen.
Gerade aus einem solchen Verständnis heraus fallen mir dann natürlich auch außergewöhnliche Projekte leichter, wie z.B. als die Berliner Philharmoniker zusammen mit dem Lincoln Center Jazzensemble mit Sir Simon Rattle und Wynton Marsalis auftraten und dies nicht etwa in einem Konzertsaal sondern in einer Arena!
Darüber hinaus bin ich auch lehrend tätig, als Dozent für Klangregie an der Hochschule für Musik und Darstellenden Kunst in Frankfurt am Main.

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Bei Ihrer Arbeit zur Aufführung von „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ haben Sie ein äußerst komplexes wie einzigartiges Beschallungskonzept entworfen. Ist eine derartige Installation auch ein Teil des Gesamtkunstwerkes oder hat das ebenso etwas auch mit Zweckgebundenheit zu tun, die den akustischen und physikalischen Gegebenheiten des Veranstaltungsortes geschuldet ist?

Norbert Ommer: Sowohl als auch – man sieht zum einen ein Gesamtkunstwerk, in welchem auch das Sounddesign zu sehen ist, ein spezielles für diese Aufführung entwickeltes Design. Und gleichzeitig war es auch zweckgebunden, da der Aufführungsort eine Industriehalle aus dem vergangenen Jahrhundert gewesen ist und kein Konzertsaal, für den das Werk vom Komponisten ursprünglich geschrieben wurde. Aber in der Zweckgebundenheit können auch Möglichkeiten für eine exzeptionelle Aufführungspraxis entstehen.
Die Grundfrage bei der ersten Begehung des leeren Raumes und der Sichtung der Partitur war natürlich: Ist eine musikalische Aufführung möglich, die dem Werk und dem Komponisten gerecht werden kann?
Hier muss man dann über genügend Erfahrung verfügen, um eine Vorstellung zu entwickeln, wie und mit welchen Mitteln eine musikalische Aufführung gewährleistet werden kann. Das bedeutet auch, dass es nicht nur Entscheidungen über den richtigen Einsatz der Elektroakustik zu fällen gilt, sondern auch darüber, wie und mit welchen Mitteln die anderen Gewerke arbeiten.
Zum Beispiel war zu überlegen, mit welcher Hörschwelle in einem Industrieraum bei Verwendung aufwendiger Bühnen- und Lichttechnik zu rechnen ist. Dies war besonders bei dem ”Mädchen mit den Schwefelhölzern“ entscheidend, da das Werk sehr geräuschhafte Elemente in der Musik enthält und sich über große Strecken an der Hörschwelle bewegt. In einem normalen Konzertsaal Klänge zu musizieren, die geräuschhaft sind und sich gerade an der Hörschwelle bewegen, ist das eine. Dies aber in einem Industrieraum ohne jegliche Akustik mit Geräuschquellen, wie beweglichen Scheinwerfern, Nebelmaschinen und Bühnenmechanik herzustellen, ist etwas völlig anderes. Also stellte sich hier die Frage, wie lassen sich diese Störquellen ausschalten oder minimieren? Hierzu wurden z.B. die Bühnenmaschine akustisch vom Aufführungsraum abgekoppelt und nur Scheinwerfer verwendet, die möglichst wenig Geräusche verursachen.
Des weiteren war auch zu beachten, wie sich das Bühnenbild, welches zugleich auch der Zuschauerraum gewesen ist, akustisch verhält. Die Tribüne wurde in einem Raum-in-Raum-Konzept von mir konzipiert. An einigen Stellen wurde sie großflächig so behandelt, dass sie stark absorbierend wirkte und zum anderen als Bassreflexsystem anzusehen war – und zwar so, dass die Optik nicht beeinträchtigt wurde.
Neben der Elektroakustik wurden auch für die sogenannte „erste Wellenfront“ Schallsegel installiert, um zumindest etwas Direktklang vom Orchester zu erhalten. Erst nach diesen o.g. Maßnahmen wurde eine Elektroakustik installiert, die eine perfekte Schallverteilung gewährleistete und zugleich an allen Hörorten richtungsbezogen war. Aus einem ungewöhnlichen und anspruchsvollen Konzertort mit seinen Sachzwängen wurde also trotzdem eine besondere und für das Werk richtungsweisende Hörumgebung geschaffen.

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Wie wichtig ist es Ihnen veranstaltungs- wie studiotechnisch auf dem Laufenden zu bleiben - gibt es Equipment wie beispielsweise Pult, Mikrofonierung oder PA System auf welches Sie erfahrungsgemäß vertrauen?

Norbert Ommer: Auf dem Laufenden zu bleiben ist extrem wichtig. Da ich so viele und ebenso unterschiedliche Projekte begleiten kann habe ich das Glück, immer mit dem neuesten Material arbeiten zu dürfen. Hieraus ergibt sich ein stetiges ”Lernen”, mit neuem Equipment umzugehen, was ich persönlich als ganz erfrischend empfinde.
Es gibt natürlich auch Mikrofone, Mischpulte und Lautsprechersysteme, die ich immer wieder gerne verwende. Diese sind aber nicht an einen Hersteller gebunden und werden von mir projektbezogen ausgesucht.

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Mit Ihrer Veranstaltungsreihe „Basislager“ sind sie ebenso wissenschaftlich lehrend tätig. Welche Bedeutung messen Sie dem Thema Fortbildung bei und wie sehen Sie den derzeitigen Entwicklungsstand der Ausbildungssituation in Deutschland?

Norbert Ommer: Wir können in Deutschland sehr froh über die Ausbildungsmöglichkeiten sein. Diese sind nirgendwo auf der Welt besser. Für den Fall, dass sich ein junger Mensch für das Fach „Sound” interessiert, kann er den Weg als Veranstaltungstechniker, Toningenieur und Tonmeister einschlagen und dies zum Teil auch an privaten Schulen.
Viel entscheidender ist aber, was jeder persönlich aus seinem Weg macht und machen möchte. D.h. vor allem auch, wie viel Eigeninitiative der Student/-in mitbringt und sich um möglichst viel Praxis in den unterschiedlichsten Disziplinen kümmert. Es geht darum, wach zu bleiben (hiermit meine ich eine geistige Frische, Aufgeschlossenheit für das, was um einen herum passiert) und auch zu sehen, was einem selber Spaß macht.
Gerne möchte ich auch auf die Möglichkeit hinweisen, ein Stipendium für Klangregie bei der Internationalen Ensemble Modern Akademie in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt am Main zu bekommen.

PMA - Das Magazin für die Veranstaltungsbranche
Text und Interview: Ray Finkenberger-Lewin
Fotos: Norbert Ommer/ Ralph Larmann

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Interview: Ray Finkenberg-Lewin, PMA Magazin, 2/2014