KURT ELLING

"Der Klangregisseur Norbert Ommer in Aktion"

Den Klang in Szene setzen – der Klangregisseur Norbert Ommer in Aktion

Ein Konzertsaal, ein Orchester, eine Big Band und ein Jazzvokalist – diese Schallquellen gemeinsam zum Klingen zu bringen, ist eine große Herausforderung. Norbert Ommer ist Klangregisseur und ein gefragter Spezialist für die akustische Gestaltung anspruchsvoller Produktionen. Im Dezember hat er eine Produktion des WDR Rundfunkorchesters mit der WDR Big Band und dem amerikanischen Sänger Kurt Ellings in der Philharmonie in Essen realisiert. Antje Grajetzky hat ihn dabei begleitet.


Ein Saal für sinfonische Musik

Die Philharmonie Essen gilt als das größte Konzerthaus im Ruhrgebiet. Genau genommen ist es das größere der beiden Ruhrgebietskonzerthäuser in Dortmund und Essen. Nach einem aufwändigen Umbau des Saalbaus aus den 50er Jahren wurde die Philharmonie 2004 eröffnet. Der Große Konzertsaal ist nach dem letzten persönlichen Inhaber der Firma Krupp, Alfried Krupp von Bohlen Halbach benannt, denn eine Spende der von Alfried Krupp gegründeten gemeinnützigen Stiftung ermöglichte den Umbau. Der Alfried Krupp Saal bietet 1906 Besuchern Platz. Er hat ein ansteigendes Parkett, einen Hinterrang, einen Chorbereich und drei Seitenränge. Bauakustisch ist der Saal besonders für klassische Musik vom Solo-Recital bis zur großen sinfonischen Musik geeignet. Grundsätzlich ist der Konzertsaal in seiner Ausstattung kein Multifunktionssaal. Für Konzerte mit elektroakustischer Verstärkung müssen zusätzliche akustische Maßnahmen umgesetzt werden, um eine gute Klangqualität zu erzielen.


Reflektionen und Diffusschall

Damit beginnt die Arbeit von Norbert Ommer für das Konzert des WDR Rundfunkorchesters mit der WDR Big Band und dem amerikanischen Sänger Kurt Ellings. In enger Zusammenarbeit mit dem Intendanten der Philharmonie Essen, Dr. Johannes Bultmann, hat Ommer bereits für eine aufwändige Produktion vor zwei Jahren mit dem Bassbariton Thomas Quasthoff verschiedene akustische Maßnahmen eingeleitet. Im Mittelpunkt steht dabei die Schallabsorbtion im Raum und auf der Bühne. Der Deckenreflektor über dem Orchesterpodium ist verfahrbar und wurde für diese Produktion auf eine Höhe über den Lautsprechersystemen gefahren. An der rückwärtigen Wand des Zuschauerraums wurde ein schwarzer Molton-Vorhang angebracht, ebenso wurden die Wände des Orchesterpodiums mit einem doppelten Vorhang abgehängt. Die untere Schicht bildet ein schwarzer Vorhang aus glattem Gewebe, darüber ist ein ecrufarbender Samtvorhang angebracht. Dieselbe Farbe findet sich im Teppichbelag auf dem Orchesterpodium wieder. Dabei handelt es sich um eine dünne Auslegeware, denn letztendlich korreliert die Dicke des Teppichs mit dem möglichen Investitionsvolumen.


Für mehr Transparenz

Mit diesen zunächst raumakustischen Maßnahmen wird der Klang des Konzertraums verändert. Die sonst erwünschten Reflektionen vom Deckenreflektor und den Wänden werden minimiert. So wird verhindert, dass sich frühe Reflektionen und Diffusschall mit der elektroakustischen Verstärkung mischen. Bei einem zu großen Anteil des Raumklangs wäre das Klangbild nicht mehr transparent und die Besucherinnen und Besucher würden den Klang nicht mehr von der Bühne, sondern diffus im Raum klingend wahrnehmen. Durch die Dämmung auf der Bühne wird verhindert, dass ein zu großer Anteil an Diffusschall und Reflektionen von den Mikrofonen aufgenommen wird und das Klangbild der elektroakustischen Verstärkung ungünstig beeinflusst.


Ein gutes Team

Am Vormittag vor dem Konzert wird die Beschallungsanlage bereits eingerichtet. Norbert Ommer arbeitet mit dem digitalen D5 Live-Mischpultsystem von DiGiCo, der Konsole, einem lokalen DigiRack am Mischpultplatz, einem DigiRack an der Bühne. Technisch unterstützt wird er von Helge Schäffer und seinem Team von PRG (Production Resource Group). Der Tontechniker Dennis Drevermann steht für alle Belange der hauseigenen Beschallungsanlage jederzeit zur Verfügung. Und dann ist da noch Dominik Kleinknecht. Er ist Stipendiat für Klangregie an der Internationalen Ensemble Modern Akademie in Frankfurt. Norbert Ommer ist dort Dozent für Klangregie. Hier lernt der Student in der Praxis was Norbert Ommer unter der „kompromisslosen Umsetzung von Partitur, Raumakustik und Elektronik“ versteht.


Ein flexibles Pult

Bevor die Musikerinnen und Musiker zum Soundcheck kommen, werden alle Mikrofoneingänge getestet und die Belegung zwischen FOH Platz, Monitor und Ü-Wagen abgeglichen. Alle Instrumente werden einzeln mikrofoniert. Das Konzert in der Essener Philharmonie wird vom WDR mitgeschnitten. Dabei nutzt das WDR Team dieselbe Mikrofonierung, wie die für die Live-Beschallung, die Signale kommen über eine Split-Box zum Ü-Wagen. Dieses Pult ist nicht in das D5 Netzwerk eingebunden, für den Mitschnitt wird eine eigene Mischung erstellt. Zusätzlich zur Mikrofonierung der Instrumente ist für den WDR-Mitschnitt noch ein AB-Raummikrofonsystem eingesetzt, um die Atmosphäre im Zuschauerraum aufzunehmen.


Vertrauensvolle Zusammenarbeit

Die Kommunikation zwischen den Beteiligten funktioniert einwandfrei. Der Umgangston ist ruhig und respektvoll. Norbert Ommer spricht oft von Vertrauen als Basis für eine gelungene Klangregie. Vertrauen ist notwendig, um Dr. Johannes Bultmann von der Einrichtung akustischer Maßnahmen zu überzeugen, Vertrauen ist wichtig zwischen den einzelnen Dienstleistern und Vertrauen gibt es in die künstlerische Kompetenz, wenn Norbert Ommer seine Überlegungen zur Orchesteraufstellung formuliert. Das Rundfunkorchester ist vom Parkett aus gesehen links in klassischer Aufstellung formiert. In der Mitte sind Flügel, Fender Rhodes, Schlagzeug, Bass und Gitarre als harmonisch-rhythmisches Herzstück platziert, rechts dann die Bläsersektion der Big Band. Die Grundidee, die dahinter steht, ist die, dass alle Musikerinnen und Musiker optimal miteinander kommunizieren können und sich gegenseitig optimal hören. Gleichzeitig stehen bei der Kombination von klassischem Orchester, Big Band und Solisten Dirigent wie Rhythmusgruppe gleichermaßen im Mittelpunkt. Der Dirigent Michael Abene übernimmt bei dieser Musik vor allem die Funktion, die verschiedenen Klangkörper musikalisch miteinander zu vernetzen. Für den Vokalsolisten Kurt Ellings hat Ommer deshalb abweichend vom ursprünglichen Stage Setup, das auf der Zeichnung zu sehen ist, den Platz rechts neben dem Dirigenten reserviert. Stünde der Solist wie üblich links, wäre der Sichtkontakt der Violinen zum Dirigenten eingeschränkt.
Für das Monitoring sind Lautsprecher eingesetzt, da die Musiker der Big Band darauf besonders gut eingespielt sind. Natürlich müssen sich bei diesem Aufbau Mischer und Musiker auf einen dezenten Lautstärkepegel einigen, weil der Schall aus den Monitorlautsprechern sonst auch im Saal zu hören wäre und die Mischung negativ beeinflussen könnte.


Arbeit unter Zeitdruck

Die Musiker kommen, der Soundcheck beginnt. Hier gibt der Kollege auf dem Ü-Wagen den Ton an. Norbert Ommer pegelt die Eingangssignale an seinem Pult. Die einzelnen Signale hat er nach Stimmgruppen in Subgruppen zusammengefasst. Auch der Solist des Abends Kurt Ellings wird zum Soundcheck gebeten. Bei ihm ist nur eine Annäherung an den zu erwartenden Pegel möglich, da er seine Stimme beim Soundcheck natürlich schont und nicht aussingt. Einige Songs werden angespielt. Es ist wenig Zeit für Norbert Ommer, den Klang einzurichten. Die Mischung klingt noch sehr diffus, als der Soundcheck schon vorbei ist. Davon lässt sich jedoch niemand irritieren. Einerseits wird sich der Klang noch einmal verändern, wenn der Saal mit Publikum gefüllt ist, andererseits arbeitet Norbert Ommer seit mehr als zwanzig Jahren als Klangregisseur und Sounddesigner und weiß, was er tut und wie es für alle Beteiligten auf der Bühne und im Zuschauerraum optimal klingen wird.


Wie soll es klingen?

Sein Konzept für dieses Konzert sei es, das Publikum mit Klang zu umhüllen. Er strebe für diese Produktion das Klangerlebnis einer CD an. Schon zu Hause gibt es beim Musikhören über eine Stereoanlage nur einen kleinen Bereich, in dem ein ausgewogener Gesamtklang und eine stereophone Ortung der Schallereignisse möglich sind. In der Philharmonie Essen wird die elektroakustische Beschallung über zwei Meyer Sound Line-Arrays abgestrahlt. In der Mischung verzichtet Ommer gezielt auf den Einsatz von Panorama. Er verteilt die Klangquellen so, dass alle Besucher im Parkett einen ausgewogenen Mischklang zwischen den einzelnen Instrumentengruppen haben. Für die Besucher auf den Rängen gibt es hinter den Line-Arrays einen zusätzlichen Lautsprecher, der auf diese Zuschauerebene strahlt. Darüber hinaus wurde beim Kartenverkauf darauf geachtet, nicht den ganzen Saal auszuverkaufen, sondern nur den Bereich, in dem die Besucher auch einen qualitativ guten Klang erleben können. Die Chorempore und der hintere Rang waren nicht für den Verkauf freigegeben.

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Meyer’s Little Helper

Die Line-Arrays werden von Helge Schäffer mit dem Gallileo Lautsprecher Management System von Meyer Sound angesteuert. Mit diesem kombinierten System aus Hard- und Software hat er die Möglichkeit die Arrays noch einmal in Gruppen zu unterteilen und die Ausgangspegel auf die jeweiligen Entfernungen zum Publikum abzugleichen. Integriert in die Gallileo-Anwendung sind auch Filter, Equalizer und Delay. Für das Konzert hat Schäffer, die Line-Array in drei Gruppen unterteilt und bei der Gruppe, die auf Grund der Biegung des Array nach hinten den größten Abstand zum Publikum hat, den Ausgangspegel angehoben. Zusätzlich hat er ein Delay zwischen Ein- und Ausgangssignal geschaltet und die Systementzerrung eingesetzt.

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Havarie – und dann?

Norbert Ommer und Helge Schäffer schätzen das Gallileo-System sehr. Auch, obwohl es an diesem Tag Probleme in der Kommunikation zwischen dem DiGiGo D5 und dem Gallileo-System gibt. Das Pult hat mehrfach Fehlermeldungen geschrieben, zu hören war davon jedoch nichts. Helge Schäffer und Dennis Drevermann überlegen, was sie im Falle einer Havarie tun können. Plan B sieht vor, dass bei einem Ausfall der Gallileo-Seuerung auf die Hausansteuerung der Line-Arrays umgeschaltet werden soll. Dazu speichert Drevermann auch die Gallileo-Setups in seinem System. Währenddessen ist Norbert Ommer schon in den Backstage-Bereich gegangen, denn das ist nicht sein Problem. Hier wird offensichtlich, wie wichtig und wie gut eine eingespielte Zusammenarbeit ist, in der sich alle Beteiligten auf die Kompetenzen der Anderen verlassen können.


Es klingt!

Kurz vor dem Konzert sagt Norbert Ommer dann aber doch noch, dass es natürlich kontraproduktiv sei, wenn es vor einem Konzert so viele technische Probleme gäbe. Die künstlerische Arbeit käme dann zu kurz. Beeindruckend ist, wie schnell Ommer zwischen der Kontrolle der technischen Parameter und der klanglichen Gestaltung der Musik im Konzertsaal umschalten kann. Mit Beginn der Musik ist er dann auch ganz dem künstlerischen Geschehen zugetan, wippt mit, pegelt hin und wieder nach und mischt aber vor allem den Gesamtklang. Der ist transparent und homogen zugleich. Der Klangunterschied zwischen leerem Saal und gefülltem Saal ist immens. Und es ist schon eine besondere Fähigkeit, dass Publikum beim Soundcheck im leeren Saal mitzuhören. Das Publikum ist begeistert von der Musik. Von dem, was alles getan wurde, damit die Musik es so direkt erreicht, hat es nichts mitbekommen und ist sich des immensen Aufwands mit Sicherheit nicht bewusst. Das ist genau das Ziel: die Technik ist nicht hörbar, was bleibt ist die Musik.


Inszenieren für das Gehör

Zwischen diesen Arrangements für Orchester, Big Band und Jazz-Gesang und etwa der Prometheus-Inszenierung für die Ruhrtriennale oder dem musikalischen Programm des Ensemble Modern liegen Welten. Norbert Ommer ist in all diesen Welten zu Hause und er sagt, dass er darüber auch sehr sehr glücklich sei, diese Vielfalt an musikalischen Stilen erleben und gestalten zu dürfen. Und er darf sich glücklich schätzen, auf diesem hohen technischen Niveau arbeiten zu dürfen. Möglich ist eine Produktion mit diesem Aufwand wohl nur, wenn ein großer öffentlich-rechtlicher Rundfunksender mit dabei ist. Ein städtisches Orchester könnte sich kaum eine so ausgeklügelte Klangregie leisten, wenn es mal mit einer Big Band spielen möchte. Dennoch ist es vollkommen richtig, diesen Aufwand zu betreiben, wenn die Ressourcen vorhanden sind. Denn Musik ist klingende Kunst, die für das Gehör in Szene gesetzt wird.

Bühnentechnische Rundschau 01/2013