Welchen Lautsprecher hätte Beethoven gewollt?

Die Zulieferer (IV): Norbert Ommer, der Mann am Mischpult beim Ensemble Modern

Natürlich sollte man ein bißchen über Physik wissen: wie sich Schall ausbreitet und wie man dementsprechend die Lautsprecher und das übrige Equipment aufbaut. Man sollte auch einigermaßen Bescheid wissen, was es an elektronischakustischem Gerät gibt und was an sinnvollen Novitäten entwickelt wird. Und man sollte möglichst viel über Musik wissen - egal, über welche.

Norbert Ommer kann das, und er kann noch mehr. Zum Beispiel Partituren lesen - also nicht nur Noten, sondern auch die komplizierteren grafischen Gebilde zeitgenössischer Komponisten. Damit steht er in seiner Branche ziemlich allein da. Norbert Ommer ist Tontechniker. Beziehungsweise: Tonmeister. Oder noch genauer: beides.

Ein etabliertes Berufsbild und einen gesicherten Ausbildungsgang für das, was er macht, gibt es nicht. Darum wissen auch nicht sehr viele Leute seine Arbeit zu würdigen. Selbst viele Dirigenten und Komponisten haben kaum eine Idee davon, sagt er. Obwohl sich das gerade ändert, und daran hat seine Arbeit sicher einen gewissen Anteil. Norbert Ommer ist der Tontechniker/Tonmeister des in Frankfurt beheimateten global players der zeitgenössischen Musik, des Ensemble Modern. Er sitzt bei den Proben und in den Konzerten am Mischpult, er baut während der Tourneen jeden Abend in einem anderen Konzertsaal die Lautsprecher auf.

Bis vor kurzem war er freiberuflich für das Ensemble tätig; inzwischen ist er als Gesellschafter aufgenommen worden, was auch eine Würdigung seiner Arbeit ist. Denn es hat sich herausgestellt, daß kaum jemand ihn vertreten kann. Zumal er in der langen Zusammenarbeit Erfahrungen mit der räumlichen Inszenierung zeitgenössischer Musik gesammelt hat, über die in dieser Bandbreite sonst kaum jemand verfügt.

Norbert Ommer hat Musik studiert und sich dann zum Toningenieur ausbilden lassen. In dieser Funktion hat er in Köln mit Karlheinz Stockhausen zusammengearbeitet - "ein Perfektionist", sagt er. Von allen zeitgenössischen Komponisten habe Stockhausen die präzisesten Vorstellungen vom Raumklang und ein beeindruckendes Wissen um die spezifischen Eigenschaften von elektronischen Klangerzeugern. Nein, halt: Genauso kompetent in diesen Dingen, räumt Ommer ein, sei Heiner Goebbels, der ebenfalls schon seit vielen Jahren mit dem Ensemble zusammenarbeitet.

Die meisten Komponisten allerdings beschränken sich auf lapidare Bemerkungen in der Partitur ("amplified") und geben der Tontechnik damit einerseits großen Freiraum - und damit große Verantwortung. Um sich in diesem Freiraum sinnvoll zu bewegen, muß man wissen, was der Komponist beziehungsweise der Dirigent will. Norbert Ommer ist darum gern bei Proben von Anfang an dabei. Er sitzt am Pult, redet mit dem Dirigenten, hört zu und macht seine Notizen in der Partitur.

Seit einigen Jahren kommt es öfter vor, daß die Dirigenten ihn überhaupt wahrnehmen, sagt er. Fred Frith zum Beispiel, erzählt Norbert Ommer, sei von Anfang an im Raum herumgegangen, habe neben dem Mischpult gestanden und die Informationen, die er dabei sammelte, in die Musik einfließen lassen. Er war auch in der Lage, präzise Wünsche zur Klangbild-Realisation mitzuteilen.

Der große Durchbruch aber, erinnert sich Ommer, war vor fünf Jahren das Frank-Zappa-Projekt The Yellow Shark. Zappa hatte ein eingearbeitetes Team von Tontechnikern, die sich mit der Rock-Branche bestens auskannten ("das war alles ziemlich amerikanisch"). Das Ensemble Modern wollte seinen eigenen Zugang zu Zappas Musik finden und eben nicht das bekannte Rock-Idiom reproduzieren. The Yellow Shark wurde geboren in einem komplizierten Biotop aus verschiedenen Techniker-Crews, die gegeneinander oder nebeneinander her arbeiteten. Bei diesem Projekt, sagt Norbert Ommer, gab es viel zu lernen. Und alles mußte immer sehr schnell gehen.

Und dann war da, wenig später, Heiner Goebbels' Komposition "La Jalousie", in der ein Sampler und ein musikalisch aufgefaßtes Geräuschrepertoire eine zentrale Rolle spielen. Das hatte es so vorher auch noch nicht gegeben. "Der Sampler", sagt Norbert Ommer, "macht alles noch viel komplizierter."

Und auch Beethoven war nicht unkompliziert: Die Fünfte Sinfonie in kleiner Besetzung mußte verstärkt werden, um eine Nähe zwischen Orchester und Publikum herzustellen - aber wie verstärkt man werkdienlich Musik des 19. Jahrhunderts? An Neuland und Herausforderungen herrscht kein Mangel.

Frankfurter Rundschau, Hans Jürgen Linke, 11/1998