Mehr als die Inszenierung von Klang

Die Oper „Bählamms Fest“ von Olga Neuwirth wurde am Eröffnungswochenende der Ruhrtriennale in der Jahrhunderthalle in Bochum gezeigt. Es war die erste Inszenierung nach der Uraufführung 1999 durch das Klangforum Wien unter Johannes Kalitzke bei den Wiener Festspielen. In Bochum war tolle Musik, Ensemble Modern unter der Leitung von Sylvain Cambreling, und eine streitbare Inszenierung zu erleben.

Es fühlte sich noch ganz fragil an, dass nun wirklich Ruhrtirennale stattfand. Am Eröffnungswochenende war im Morgengrauen ein Konzert in der Maschinenhalle in Gladbeck-Zweckel zu erleben, am Abend dann die erste große Theaterpremiere mit „Der Untergang des Hauses Usher“ in der Inszenierung von Barbara Frey. Sie ist die Intendantin der Ruhrtriennale für 2021 – 2023. Ein Fokus ihrer ersten Festival-Ausgabe sind die Übergänge vom Wachen in den Traum, von der Wirklichkeit ins Surreale, vom Sukzessiven ins Simultane. Und sie stellte sehr viele Künstlerinnen in die erste Reihe. Es ist das erste Mal, dass mit „Bählamms Fest“ Musiktheater aus der Feder einer Komponistin im Rahmen der Ruhrtriennale inszeniert wird. Olga Neuwirth ist Österreicherin. Mit 16 Jahren lernte sie die Schrifstellerin Elfriede Jelinek kennen, mit der sie seitdem befreundet ist und mit der zahlreiche gemeinsame Arbeiten entstanden sind. So wurde Neuwirth mit Miniopern nach Texten von Elfriede Jelinek international bekannt und anerkannt. Seitdem werden ihre Werke weltweit präsentiert.

In vielen ihrer Werke verbindet die Komponistin Livemusik mit Elektronik und Video zu audiovisuellen Erlebnissen. Auch „Bählamms Fest“ hat eine überaus vielschichtige Partitur, die Instrumente, Live-Elektronik, Zuspielungen und Video verbindet. Olga neuwirth sagte 1999 über die Entstehung der Oper „Daher glaube ich, daß der planmäßige Einsatz von Bühne (also Räumen), Tonband, Sängern und Instrumentalisten, Film bzw. Videoprojektionen, Ausstattung und Licht schon im Libretto beginnen kann – so geschehen im neuen Libretto von Elfriede Jelinek für das Musiktheater-Projekt Bählamms Fest.“ In diesem Satz wird deutlich, wie eng verwoben Musik und Sprache, Neuwirth und Jelinek, Raum und Medien verbunden sind.

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Drehscheibe auf Heidelandschaft
Die Inszenierung im Rahmen der Ruhrtriennale war für das irische Regieduo „Dead Centre“, Bush Moukarzel und Ben Kidd ,die erste Opernarbeit. Das Bühnenbild stammte von Nina Wetzel, die einen tiefen Heideraum in der Jahrhunderthalle geschaffen hat. Darauf ein Haus und ein kleiner See. Nebel wabert und man ahnt gespenstische Gestalten ganz hinten in der Halle. Beschlossen wird der Raum von dem kathedralenartigen Fenstern der Jahrhunderthalle. Die Vorstellung begann um 21:00 Uhr und spielte in die Dunkelheit hinein, denn ein künstlerisches Diktum der Ruhrtriennale verbietet es die Spielorte künstlich zu verdunkeln. Es ist ein Grundgedanke dieses Festivals aus den ehemaligen Industrieräumen neue Formen zu kreieren durch genreübergreifende Kreationen, Verschränkung unterschiedlicher Medien, Auflösung frontal bespielter Bühnenräume und oft auch spektakulärer Bühnenbilder im Zusammenwirken mit der Industriearchitektur. Im Sinne des Letztgenannten ist das Bühnenbild zu „Bählamms Fest“ gelungen, spielt mit dem Spannungsfeld zwischen Natur und Industrie und sieht ohne Frage toll aus. Nur ist es nicht wandlungsfähig. Einziger Ort der Verwandlung ist eine Drehscheibe auf der das Haus der Familie Carni steht. Ganz klassisch dreht die Scheibe sich, um neue Perspektiven auf das Haus zu zeigen, in dem Theodora mit alkoholsüchtigem Mann und tyrannischer Schwiegermutter lebt und sich in eine nicht weniger tödliche Beziehung zur Mensch-Wolf-Gestalt Jeremy flüchtet. Dazu werden Videos auf die Hauswände projiziert und manchmal klappt eine ganze Hauswand auf und wirbelt das Erdreich auf und verstaubt Sängerinnen und Sänger und Instrumente. Das Ensemble Modern ist an der linken Seite unter der Galerie positioniert. Szenographisch wirkt das so als habe man nicht bedacht, dass die Jahrhunderthalle ja gar keinen Orchestergraben hat. Und ein bisschen war es auch so, erzählt mir Norbert Ommer. Er ist Klangregisseur des Ensemble Modern seit 1994 und war besonders unter der Intendanz von Heiner Goebbels für einige Inszenierungen mit dem der zeitgenössischen Musik verpflichteten Klangkörper in den Hallen der Ruhrtriennale für die Klangregie verantwortlich. Für ihn sei es eine Herausforderung gewesen mit einem Regieteam zu arbeiten, das zum ersten Mal Musiktheater inszeniert.

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Arbeit mit der Partitur
Und auch die Umsetzung der Partitur von „Bählamms Fest“ war eine Herausforderung. Norbert Ommer erzählt, dass es die handschriftliche Originalpartitur gäbe, in der Zeichen für die Live-Elektronik vermerkt sind, die sich heute nicht mehr unbedingt erschließen: kleine Schörkel und Wörter. In den Verlagen fehle eigentlich jemand, der Partituren elektronischer Musik auf den aktuellen Stand der Technik editiert. Bählamms Fest wurde 1999 mit einer speziell im Grazer Institut für elektronische Musik und Akustik (IEM) entwickelten Software umgesetzt hat. Das wurde für die Neuinszenierung nun mit im IRCAM (Institut de recherche et coordination acoustique/musique) entwickelten Programmen umgesetzt. Teilweise habe Jose Miguel Fernandez, der für das Live-Elektronik Design zuständig war, aber auch mit reiner Programmierschrift gearbeitet. Es gibt eine Aufnahme von „Bählamms Fest“ mit dem Klangforum Wien. Mit dieser Aufnahme hat Norbert Ommer gemeinsam mit dem den Computer-Musiker bzw.- Designer Manuel Poletti und Jose Miguel Fernandez eine aktuelle Fassung entwickelt. „Nach bestem Wissen und Gewissen.“, sagt er. „Ich hätte mir gewünscht, dass Olga Neuwirth bei den Proben dabei gewesen wäre. Mich hätte das sehr interessiert.“ Die Komponisten kam zur Premiere und war begeistert.

Klingende Umsetzung
Mit intensiven Partiturstudium und viel Recherche wurde eine aktuelle Aufführungspraxis entwickelt. Vieles musste komplett umgeschrieben werden und vieles musste auch für unsere gegenwärtigen Hörgewohnheiten neu interpretiert werden. Das betraf zum Beispiel Fragen, wie viel Hall auf den Stimmen sein soll, wie der Vocoder eingesetzt wird oder wie mit dem Morphing umgegangen wird. Norbert Ommer erläutert das: „Hallräume, Morphing, Vocoder das war vor 20 Jahren noch was anderes. Selbst wenn wir gewusst hätten, wie man es macht, das war überzeichnet, Kitsch, das kann man heute keinem mehr so zeigen.“ Vocoder Sounds kennt man vor allem aus der Popmusik der 1980er Jahre. Einfachste Beispiele sind die Stimmverfremdungen zu Roboter- oder Micky-Mouse-Stimmen. Beim Audio Morphing wird ein kontinuierlicher Übergang zwischen zwei Klängen geschaffen, wobei auf halbem Wege nicht die Summe beider Klänge, sondern ein neuer Zwischenklang entsteht, der charakteristische Elemente beider Sounds beinhaltet. In „Bählamms Fest“ wird die menschliche Stimme zum Wolfsgeheul gemorpht. Der Sänger singt und das Signal wird durch einen Algorithmus weiter entwickelt. Durch die Tonhöhe und die Dehnung bestimmter Silben kann der Sänger den Effekt auch selbst beeinflussen. Eine wichtige Frage bei der Umsetzung war die, ob der Text verständlich sein solle. Ommer plädierte dafür weniger Effekt zu Gunsten der Textverständlichkeit einzusetzen und argumentierte, dass das Stück schon so vielschichtig sei, dass es das Publikum überfordere, wenn es auch noch auf das Lesen der Übertitel angewiesen sei. Das war sicherlich eine sehr gute Entscheidung. Daher wurden in der aktuellen Fassung weniger Klangmodulationen hinzugegeben. Wobei dies nicht den Umkehrschluss zulässt, dass es auch vor 20 Jahren schon so besser zu verstehen gewesen wäre. In der Klangregie war sozusagen eine historisch informierte Aufführungspraxis notwendig. Vor zwanzig Jahren konnte eine stark mit Vocoder verzerrte Stimme die Metapher einer körperlosen Stimme erzeugen. Heutzutage hören wir eher einen popmusikalischen Effekt. Bei der Klangregie hat sich Norbert Ommer immer wieder die Frage gestellt, wie sich die Hörgewohnheiten in den 20 Jahren nach der Uraufführung geändert haben. Die Partitur sieht auch den Einsatz des Thereminvox vor. Dieses frühe elektronische Instrument wurde in den zwanziger Jahren von Lew Termen entwickelt und hieß ursprünglich Ätherophon. Die Tonerzeugung erfolgt durch die Überlagerung von zwei hochfrequenten nicht mehr hörbaren Tönen. Gesteuert wird die Tonhöhe durch eine Spielantenne, die zusammen mit der Hand des Spielers einen Kondensator bildet, dessen Kapazität sich mit der Änderung des Abstands zwischen Hand und Antenne ändert. Lydia Kavia war die Interpretin in „Bählamms Fest“. Sie ist eine Großnichte Termens und hat das Thereminspiel beim Erfinder selbst gelernt.

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Schichtungen an der Grenze des Hörvermögens
Die Verschränkung populärer und ernster Musikwelten, Brüche, ein Nebeneinander und Schichtungen vermeintlich nicht zusammengehörender Klangereignisse gehören zum Kompositionsprinzip und der daraus entstehenden Klangwelt von Olga Neuwirth. In dieser Hinsicht wurde mit der Inszenierung, hier das Orchester, dort die Bühne, eine Chance vertan die Komposition als solche etwas mehr in Szene zu setzen. „Es ist schwierig den Stoff zu klingen zu bringen.“, sagt Norbert Ommer dazu. Die Sängerinnen und Sänger waren überwiegend nicht deutschsprachig. Zu der Herausforderung nicht nur zu singen, sondern auch zu sprechen kam also noch eine Sprachbarriere und für die Klangregie die Notwendigkeit, die Diskrepanz zwischen Gesangs- und Sprechstimme auszugleichen. Dazu musste die Installation so gut funktionieren, dass es möglich war diesen Unterschied mit einer Fader-Bewegung auszugleichen. Außerdem waren die Lautsprecher so installiert, dass nicht nur auf eine Front-of-House-Beschallung gesetzt wurde, sondern die Schallquellen auch jeweils an den Klangorten verstärkt wurden: durch zusätzliche Line Array in der Nähe des Ensembles und einem großen Lautsprecher-Cluster vor dem Kathedralenfenster, um hier eine Tiefenstaffelung zu erzeugen. Durch diese Staffelungen sei es leichter die Musik mit ihren zahllosen Schichtungen und dem Ineinandergreifen verschiedener Klänge, Motive und Linien zu hören. Wenn eine Partitur schon mit dem künstlerischen Mittel der vielfachen Schichtungen an der Grenze der Hörwahrnehmung arbeitet, ist es also umso wichtiger durch eine klug gestaltete Klangregie, genau diese künstlerische Mittel zum Klingen und damit auch zum Verstehen zu bringen. Norbert Ommer fasst es so zusammen: „Die Lautstärken der Elektronik sind Interpretationen des Originals.“

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Die Arbeitsmittel
Um dieses Klangbild zu erreichen wurde jedes Instrument einzeln mikrofoniert. Auch geriebene Gläser spielen mit. Hier waren Spezialmikrophone von AKG im Einsatz. Für die Klangregie hat Norbert Ommer ein Mischpultsystem von Yamaha verwendet: „Das ist betriebssicher, klingt gut und hat vielfältige Möglichkeiten. Denn wir hatten auch die Aufgabe einen Live-Stream zu produzieren. Das hat gut funktioniert mit dieser neuen Mischpultklasse.“, fasst er die Vorteile zusammen. Immerhin werden 120 Kanäle bespielt. Da war es wichtig alles immer im Überblick zu haben, ohne dabei durch verschiedene Modi zu wechseln. Die Produktion fordert die Möglichkeit gleichzeitig Partitur zu lesen und live den Klang auf den Ebenen Dynamik, Raumgestaltung, Effekte und Live-Elekronik zu steuern. „Auf dem Yamaha-Pult kann ich mir eine Struktur schaffen, in der ich immer den Überblick habe, wie ich schnell auf alle Parameter zugreifen kann und dabei nicht die Partitur aus dem Blick verliere, wenn mal etwas schief geht.“

Arbeiten in der Pandemie
Ich spreche mit Norbert Ommer in der Hotel Lounge. Früher hätten wir uns natürlich in der Halle getroffen, wären herumgegangen und der Aufbau der Installation wäre im Raum nachvollziehbar gewesen. Nun sitzen wir uns mit Masken gegenüber und rekonstruieren die Situation in der Halle. Ähnlich schwierig seien die Produktionsbedingungen gewesen. Vor Corona habe sich ein Produktionsteam in der Regel sehr früh vor einer Inszenierung gemeinsam die Räume erschlossen und sehr früh zusammen ein Brainstorming im Raum gemacht. Das war unter den Pandemiebedingungen nicht möglich und viele Fragen sind offen geblieben, weil die Kommunikation nicht vor Ort stattfinden konnte. Dennoch war es auch ein Gewinn: „Man kann das Stück jetzt wieder aufführen.“, sagt Norbert Ommer. Klangregie ist mehr als die Inszenierung von Klang. Es ist in diesem Fall auch musikalische Reflektion über die Bedeutung von Klängen in ihrer historischen Bedingtheit, um eine für die Gegenwart geeignete Umsetzung zu finden.

Artikel aus der BühnenTechnischeRundschau von 05/2021
von Antje Grajetzky