Klassik im Schlosspark Tiefurt

Im Rahmen der Feierlichkeiten zu "Kulturhauptstadt Europa: Weimar 99" ging im Schloßpark der Goethestadt ein aufwendiges Konzertereignis über eine der größten Klassikbühnen Europas.

Vorausgegangen war eine ganzjährige Veranstaltungsreihe, in der sich sowohl Rockgrößen wie Herbert Grönemeyer als auch Vertreter der klassischen Musik ein Stelldichein gaben. "Der Hintergrund bei der Planung war, die Stadt Weimar als Kulturstandort Europas zu etablieren. Die Vorbereitungen zu dem Happening begannen bereits vor drei Jahren. Diese Vorlaufzeit war nötig, wollte man doch das Ganze auf einem sehr hohen Niveau durchführen", bringt Thomas Schröder (Berlin), der als technischer Direktor in Zusammenarbeit mit Andreas Fuchs (Berlin) für die Aktivitäten in Weimar verantwortlich zeichnet, die Vorgeschichte auf den Punkt. Die zweitägige Konzertveranstaltung im Schloßpark sollte dabei einer der Höhepunkte dieser Festlichkeiten werden, der neben der musikalischen auch eine völkerverständigende Wirkung haben sollte. So standen bei Mahlers 2. Symphonie, der Auferstehungssymphonie, am ersten Konzertabend 172 Musiker des Bayerischen Staatsorchesters und des Israel Philarmonic Orchestra auf der Bühne, hinzu kam der Chor der Bayerischen Staatsoper München, der Philharmonische Chor Prag und der Tschechische Philharmonische Chor Brno mit insgesamt 225 Sängerinnen und Sängern. Die musikalische Leitung hatte Zubin Metha, der musikalische Leiter der Bayerischen Staatsoper und des Israel Philharmonie Orchestra. Die Solisten waren Elisabeth Futral - Sopran und Mariana Lipovsek - Mezzosopran.

Ganz bewußt hat man als Spielort den Schloßpark Tiefurt gewählt, der nur wenige Kilometer vom ehemaligen Konzentrationslager Buchenwald entfernt liegt. "Man wollte hier auch politisch ein Zeichen setzen, darüber hinaus bot sich der Park auch aufgrund seiner Größe und Schönheit an", so der Berliner weiter. Allerdings fehlte für die Durchführung einer für 8.000 Personen ausgelegten Veranstaltung jegliche Infrastruktur. "Der erste Ortstermin auf dem Areal war doch recht schockierend. Es gab keine geeigneten Zufahrtswege und das Gelände war nicht ebenerdig. So mußten wir zum Beispiel extra eine Straße bauen lassen, weil die großen Sattelschlepper sonst gar nicht auf das Gelände gekommen wären", führt Thomas Schröder aus. Als es darum ging, die technischen Dienstleister an den Start zu bringen, stieß der Weimarer auf Crystal Sound aus Baden Baden, den Bühnenservice Augsburg sowie Roth Lohre Lorenz "Ich war auf der Suche nach Unternehmen, die eine Veranstaltung in dieser Größenordnung sicher über die Bühne bringen. Diese Unternehmen schienen die geeignetsten Partner zu sein, da sie bereits in München bei der Produktion 'Oper für alle' mit der Bayerischen Staatsoper und Zubin Metha sowohl Aida wie auch Mahlers 2. Symphonie realisiert haben und für die Ton- und Bildqualität hervorragende Kritiken bekommen haben", begründet der Berliner. In Weimar wurde das Team im Bereich Licht durch Main Design FFM ergänzt. "Bei der Wahl der Bühne gab man der 'Giant Arche' von Stageco den Vorzug, die schon bei dem Konzert der drei Tenöre vor dem Eifelturm in Paris zur Eröffnung der Fußball-WM sowie in Israel zur 50-Jahr-Feier verwendet wurde", erzählt der Eventexperte. Das Open Air im Schloßpark war der dritte Einsatz dieser großen Bühne, die aufgrund der kuppelförmigen Ansicht und der Ausmaße bereits bei besagten Veranstaltungen für Aufsehen gesorgt hatte. "Die Bühne ist von Außenkante zu Außenkante knapp 42 Meter breit, fast 30 Meter tief und 18 Meter hoch. Das ist zwar von den Ausmaßen her gewaltig, war aber aufgrund der Größenordnung mit zwei Orchestern und drei Chören einfach notwendig", macht Manfred Porschnitzer von Bühnenservice Augsburg deutlich. Die Bühne bestand aus fünf gleich großen Bögen sowie einem kleineren Bogen. "Die Traversen sind speziell für die Stageco-Bühnen konstruiert und bestehen aus gehärtetem Stahl. Das Ganze ist eine selbsttragende Konstruktion. Die Einzelteile sind dabei mit Distanzelementen zu einer harmonischen Muschelform zusammengesetzt", so der Bühnenexperte. In die Bühnenkonstruktion können mehrere Tonnen gehängt werden, was bei dieser Produktion nur zu einem kleinen Prozentteil ausgeschöpft wurde. Die Muschelform der Bühne ist akustisch für klassische Produktionen hervorragend geeignet. Die Grundbühne und die Orchesterpodeste wurden mit Layher-Standardmaterial und Schnakenberg-Elementen gebaut. Die Boxencluster hingen an zwei Autokränen, wären aber vom Gewicht her auch kein Problem für die Bühne gewesen. Die Kräne wurden eingesetzt, weil man mit seitlichen PA-Türmen eine viel zu große Basisbreite bekommen hätte. Außerdem war man in Sachen Positionierung der Lautsprecher wesentlich flexibler. Der gesamte Aufbau der Bühne war eine recht aufwendige Angelegenheit, da sehr große Materialmengen verarbeitet werden mußten und dies auch noch auf einem schwer zugänglichen Gelände. Insgesamt zehn Sattelschlepper waren nötig, um die 200 Tonnen Equipment zu transportieren, der Aufbau konnte nicht ohne große Kräne vonstatten gehen. "Wir haben bereits eine Woche zuvor, genauer gesagt am Samstag, mit dem Entladen angefangen, wobei maximal drei Sattelschlepper gleichzeitig auf das Gelände paßten. Aber durch die Bodenabdeckungen aus Stahl wurden viele Flächen geschaffen und so ging die Arbeit schneller voran als erwartet. Sonntag bis Dienstag wurde dann den ganzen Tag gebaut, und am Mittwoch haben wir mit dem Aufbau der Bühnen-Podesterie begonnen. Last but not least wurden schließlich am Freitag die Videowände installiert, während auf der Bühne bereits die ersten Soundchecks und Lichtproben stattfanden. Alles in allem ging es also recht zügig voran, was sicherlich nicht zuletzt auf unser gut eingespieltes Produktionsteam zurückzuführen ist", betont Thomas Schröder. Als Medium für die Videoübertragungen fungierten zwei neue LED-Wände LED MK II, die so genannte 'Screen Vision', welche Roth Lohre Lorenz erstmals in Deutschland einsetzte. Dabei handelte es sich um 48 Module mit 25-mm-Bildpunktraster, das sich aus jeweils zehn LEDs pro Bildpunkt zusammensetzt. "Die Übertragung fand im 16:9-Format statt. Die LED-Technologie ist ja noch relativ neuartig am Markt und wird momentan gegenüber der alten CRT-Technologie bevorzugt, weil sie ein vom Gewicht her wesentlich leichteres System darstellt und von der Helligkeit her unschlagbar ist", begründet Roger Rinke von RLL. Ein weiteres Kriterium war, so der Techniker weiter, daß die Wände voll fernsehtauglich sein mußten und in Harmonie mit dem Licht und den Kameras ein stimmiges Gesamtbild ergeben sollten. Die Helligkeit mußte dementsprechend auf Kunstlicht eingepegelt werden. Außerdem mußte die entsprechende Homogenität und Farbtreue vorhanden sein. Das Lichtdesign wurde von Bernd-Uwe Herzmann entwickelt, der als lichtführender Kameramann beim ZDF tätig ist. Aufgrund der Dimensionen wurden überwiegend 10-kW-Stufenlinsen eingesetzt. Die Publikumsausleuchtung wurde mittels Kantenlicht bewerkstelligt, das man mit 4 kW Tageslicht (Rosco 65) erzeugt hatte. Ansonsten stellte sich das Licht-Design eher schlicht dar, es war eben eine klassische Fernsehausleuchtung gefragt. Trotzdem entstanden in Zusammenwirken mit der Publikumsbeleuchtung sehr stimmungsvolle Bilder, die im Zusammenspiel mit einem sehr differenzierten Sound ein extravagantes Ambiente in den Schloßpark zauberte.


Interview mit Crystal Sound Geschäftsführer Hanns Hommen und FOH-Ingenieur Norbert Ommer

Production Partner: Herr Hommen, sie haben bereits bei dem Projekt "Oper für Alle" mit einer fast identischen Teamkonstellation gearbeitet. Demnach mußte diese Produktion für Sie doch ein Kinderspiel gewesen sein?

Hommen: Überhaupt nicht, denn es lagen ganz andere Rahmenbedingungen als in München vor. Die Bühne war mehr als doppelt so groß, wir hatten zwei Orchester und drei Chöre, wobei wir zwar die Besetzung der Orchester hatten, jedoch keinen Sitzplan. Die Orchesteraufbauten haben wir dann mit Dirk Lauenstein von BSA aufgrund der Münchener Erfahrungen entworfen und fertiggestellt. Dabei mußten auch noch die Kamerapositionen und Wünsche des TV Regisseurs Georg Wübbolt mit einbezogen werden, da dieses Konzert in 3SAT live übertragen wurde. Die Orchester selbst haben ja zum ersten Mal miteinander gespielt. Man kann also von einer echten Premiere sprechen. Hinzu kam, daß die Bühne auch für den zweiten Konzerttag mit dem Jeunesses Musicales - dem Weltorchester - unter der Leitung von Kurt Masur und Anne Sophie Mutter als Solistin funktionieren mußte, da zwischen den beiden Konzerten keine größeren Umbauten möglich waren.

Welche Anforderungen gab es in Bezug auf die Beschallung zu erfüllen?

Hommen: In Bezug auf die Lautsprecher haben wir ausschließlich mit d&b-Equipment gearbeitet. Das gesamte Frontsystem bestand aus insgesamt 32 x 402 Stacks (jeweils 16 Stacks pro Seite weit geflogen) plus 6 x B2 Subbässe, vier mal d&b 702, die wir vor der Bühne noch einmal für das Nahfeld positioniert hatten, sowie 4 x d&b 1220. Im Gegensatz zu München (15.000 Zuschauer) haben wir in Weimar auf Delay-Tower verzichten können, denn die Entfernung von der Bühnenvorderkante zur ersten Stuhlreihe beträgt gerade mal acht Meter, die letzten Reihen sind ungefähr 70 Meter entfernt. Diese Distanz stellt für das 402-System kein Problem dar. Besonders aufwendig gestaltete sich die Mikrofonierung auf der Bühne, weil wir da im Gegensatz zu vielen Firmen erstens jedes einzelne Instrument mikrofonieren und zweitens sehr hohe Ansprüche an die Qualität der Mikrofone stellen. Für die Streicher benutzen wir zum Beispiel DPA 4061-Mikrofone mit einer Spezialhalterung für Geigen. Alle anderen Mikrofone sind, ausgenommen zwölf AKG 414 für die Hörner, von Schoeps, und zwar CMC 5/6 mit MK 04-Kapseln (Nieren) und MK 41 (Hypernieren). Hier in Weimar haben wir insgesamt 128 Schoeps-Mikrofone im Einsatz.

Haben Sie eine Vorliebe für Mikrofone dieser Marke?

Hommen: Ja, speziell wenn es um klassische Musik geht. Aber auch bei unseren Jazzproduktionen setzen wir sie bevorzugt ein. Die Entscheidung für Schoeps ist eine reine Qualitätsfrage. Sie klingen sehr natürlich und übertragen die Instrumente ohne jegliche Verfärbungen. Außerdem sind sie matt beschichtet und mit dem Colette-Gestänge auch sehr elegant und unauffällig, was für die Fernsehübertragung von Vorteil ist.

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Wie haben Sie die enorme Anzahl von über 150 Input-Kanälen verarbeitet?

Ommer: Wir haben die gesamten Streicher über Submixer auf der Bühne vorgemischt, die dann als Stereogruppen entsprechend zum Ü-Wagen und zum Frontplatz geführt wurden. Als Pulte kamen hier Mäckie-Studio-Konsolen (24/8) plus Extender zum Einsatz. Das Fernorchester in Mahlers Symphonie wurde über ein weiteres Mackie 24/8/2-Pult vorgemischt. Die restlichen Mikros des Orchesters liefen zu den beiden FOH-Konsolen am Frontplatz und wurden dort gemischt, denn innerhalb der einzelnen Gruppen, wie Holz, Blech oder auch Perkussion, ist es eigentlich fast unmöglich, irgendwelche Vormischungen zu machen. Vorne kamen dann von den 150 Kanälen noch immer 90 an. Die habe ich dann in die VCAs untergruppiert, um alles unter Kontrolle zu halten. Man musste hier mit Erfahrungswerten arbeiten, da der Sound-Check relativ kurz war. Die Marschrichtung muß einfach vorher klar sein, sonst geht es schief. Gerade im klassischen Bereich ist die Mischung nicht einfach zu handhaben, weil die Instrumente einen sehr breit gefächerten Dynamikumfang haben und entsprechend behutsam behandelt werden müssen. Gerade Mahler II hat eine enorm große Bandbreite. Entsprechend kritisch ist das Publikum. Teilweise stößt man bei den Zuschauern schon auf Ablehnung, wenn nur Boxen zu sehen sind. Auch die klassischen Musiker sind häufig sehr skeptisch. Das liegt einfach daran, daß sie eine Mikrofonierung, und dann auch noch in diesem Ausmaß, gar nicht kennen. Als Tontechniker hat man da praktisch die volle Kontrolle über den gesamten Sound und kann eine solche Veranstaltung im Nullkommanichts an die Wand fahren und aus dem Werk ein komplett eigenes Stück machen, das sich nicht mit den Vorstellungen des Komponisten oder Dirigenten deckt. Man hat also eine sehr große Verantwortung. Mittlerweile haben wir durch den großen Aufwand und die gute Qualität aber einen Standard erreicht, der bei allen Beteiligten auf Gegenliebe stößt. So haben wir in München von der Presse hervorragende Kritiken bekommen, was ja für den Ton doch eher selten ist.

Wie gestaltete sich die Kanalverteilung in Bezug auf den Fernsehsound?

Hommen: Für das ZDF war diese Art ungewohnt, sie haben jedoch die Vormischungen und die einzelnen Mikrofone komplett übernommen und zusätzlich nur sechs Schoeps mit S2-Kapseln (Kugeln als Raummikrofone) dazu genommen. Die Mikrofone wurden auf der Bühne mit aktiven Neumann-Mikrofonsplittern zum FOH und zu den beiden Ü-Wagen verteilt.

Was wurde in Sachen Signalbearbeitung getan?

Hommen: Im Gegensatz zum Konzertsaal und der Oper existiert bei Open-Air-Veranstaltungen keine Eigenakustik des Raumes, der für den Klang wichtig ist. Er muß also künstlich nachgebildet werden. Dazu haben wir ein Lexicon 224 XL bzw. 480, PCM 70 und TC M 2000 benutzt. Mit der Art unserer Mikrofonierung haben wir natürlich ein sehr trockenes Klangbild, das sich sehr gut mit den verschiedenen Hall- und Raum-Programmen bearbeiten läßt. Im Vergleich dazu haben wir bei der Aida-Übertragung aus der Münchner Staatsoper mit klassischer Mikrofonierung gearbeitet - das heißt, es gab Schoeps S2-Kugeln als Hauptmikros und MK 4 als Stützmikros. Hier wurden außerdem die Gesangssolisten mit TL Audio C l-Röhrenkompressor bearbeitet. In den Instrumentalsummen hatten wir zusätzlich BSS 402-Limiter eingeschliffen.

Wie gehen Sie bei der Soundplanung einer solchen Veranstaltung vor?

Ommer: Als Grundlage lese ich vor allem die Partitur. Mahler macht recht dezidierte Angaben, wie was zu klingen hat und welche Dynamik gewünscht ist. Ganz wichtig ist, auch mal zum Dirigenten zu gehen und zu hören, was er zu den Orchestergruppen sagt. Hier bekommt man am schnellsten einen Eindruck von dem, was er hören will, und welche Klangvorstellung er von dem Orchester hat.

Hommen: Bei den Proben statten wir den Dirigenten auch zusätzlich mit einem Ansteckmikrofon aus, um seine Anweisung und Erläuterungen an das Orchester mit zu verfolgen, da sie auch für den Toningenieur wichtig sind. Leider ist es in den seltensten Fällen möglich, sich vorab mit dem Dirigenten über seine Interpretationsvorstellungen zu unterhalten. Man muß also während der Proben sehr aufmerksam und schnell reagieren. Es muß sich zwischen dem Tonmeister und dem Dirigenten ein Vertrauensverhältnis aufbauen. Zubin Metha hat uns nach der Erfahrung aus München in Weimar komplett freie Hand gelassen. Herr Masur hatte damit zuerst so seine Probleme: "Ich begebe mich doch nicht in eure Hände, da brauche ich ja nicht mehr zu dirigieren!", hatte er gesagt. Er ist dann mehrfach ins Publikum gegangen, anschließend war die Sache geklärt.

Vielen Dank für dieses Interview!

Production Partner, Rainer Spekowius, 10/1999