Klangregie

Die kompromisslose Umsetzung von Partitur, Raumakustik und Elektronik

Bei der Inszenierung des musikalischen Bühnenwerkes "Surrogate Cities" von Heiner Goebbels, das im Februar 2008 in der Arena in Berlin-Treptow aufgeführt wurde, führte Norbert Ommer die Klangregie. Doch was verbirgt sich eigentlich hinter dem Wort Klangregie? Welche Aufgaben sind mit diesem Begriff verbunden? Welche Fähigkeiten werden dem Klangregisseur abverlangt? Zur Klärung dieser und einiger Fragen mehr traf sich unser Autor und Fotograf Ralph Larmann mit Norbert Ommer im Rahmen der Inszenierung Surrogate Cities und führte ein überaus interessantes Gespräch mit dem Herrn der Klänge.

Vor einigen Jahren machte mich Thomas Züllich, ehemals Geschäftsführer von Meyer Sound Lab Deutschland, mit Norbert Ommer bekannt. Seither eröffnete mir Norbert Ommer eine hochinteressante Welt der Musik, mit der ich, der sich bis dahin vornehmlich in der Welt der Rock- und Popmusik und des Jazz bewegte, zuvor in dieser Form nicht in Berührung kam. Inszenierungen wie z.B. des Ensemble Modern oder Heiner Goebbels erweiterten zweifelsohne meinen musikalischen Horizont und begeistern mich seither unablässig. Doch was zugleich nicht minder mein Interesse weckte, ist der Aufgabenbereich von Norbert Ommer, der bei seinen Auftragsarbeiten mit seinem Wirken und Tun weit über die Grenzen des klassischen Tonmeisters hinaus geht.

Bereits als Schüler interessierte sich Norbert Ommer für die Tonstudiotechnik. Auslöser war sein damaliger Musiklehrer, als dieser anfing in der Schule ein kleines Tonstudio aufzubauen. Während des späteren Musikstudiums an der Kölner Musikhochschule (Klavier und Klarinette auf Lehramt) intensivierte sich dieses Interesse mehr und mehr zu einer Leidenschaft. Und so arbeitete Norbert Ommer bereits während seines Studiums immer häufiger am Tonmischpult in den unterschiedlichsten Produktion der Rock- und Popmusik, der Neuen Musik oder bei Fernsehproduktionen. Dabei sammelte er gleichsam im Livebetrieb und im Studio seine Erfahrungen. Die Zusammenarbeit mit einem der zu dieser Zeit renommiertesten Lautsprecherhersteller Europas, der zugleich Karlheinz Stockhausen betreute, führte Norbert Ommer schließlich zu Karlheinz Stockhausen und zur Neuen Musik. Nach Abschluss des Musikstudiums entschloss er sich das Studium des Toningenieurs in Düsseldorf zu absolvieren, wobei er während dieses Studiums - wie beim Studium der Musik zuvor - durchweg in den unterschiedlichsten Produktionen als Mann am Tonmischpult hochkarätige Jobs erfüllte; manches mal sogar durch Auszeichnungen gewürdigt. Das Hauptaugenmerk in seiner Arbeit lag für Norbert Ommer jedoch immer stärker auf der Neuen Musik. Ergo intensivierte er sein Engagement in diesem besonderen Segment. Und heute darf man ihn ohne jeden Zweifel zu den besten seines Faches bzw. seiner Fächer zählen, denn Norbert Ommer kann man gleichsam den Klangregisseuren, Sounddesignern, Tonmeistern und Toningenieuren zuordnen. Für ihn ist das Tonmischpult ein Instrument, wie es für den Pianisten das Klavier oder die Klarinettistin die Klarinette ist. Und genau aus diesem Grund ist es für ihn völlig normal eine Partitur zu lesen, während er die Regler des Mischpults schiebt.


Ein Gespräch mit Norbert Ommer

Production Partner: Wie genau definierst Du den Begriff Klangregie?

Norbert Ommer: Klangregie ist keine Norm bzw. kein feststehender Begriff, für den eine gezielte Ausbildung existiert. Erstmals verwendet wurde der Begriff "Klangregie" von dem italienischen Avantgarde-Komponisten Luigi Nono (*1924/†1990). Doch besonders geprägt wurde er im Grunde von Karlheinz Stockhausen (*1928 / † 2007), einem großartigen, leider kürzlich verstorbenen Komponisten. Der Klangregisseur ist als Klangmeister in Anlehnung an einen Konzertmeister zu sehen, wobei der Klangregisseur an einem Tonmischpult sitzt, die Partitur liest und dabei die Regler des Klangmischpultes bedient. Er justiert den Klang und bewerkstelligt alles, was noch dazu kommt. Das können unter anderem Tonbänder und CDs sein, die zu der live gespielten Musik über die Tonanlage eingespielt werden. Das kann aber auch Live benötigte Elektronik sein oder gar die Bedienung sehr komplexer elektronischer Systeme. Wichtig ist: Der Klangregisseur erledigt verschiedene Dinge in einer Funktion. So ist er nicht nur eine Art Tonmeister, der die Partitur liest, wie man das beispielsweise aus dem Rundfunk kennt, sondern er ist zugleich ein Toningenieur der am Tonpult sitzt, die Regler bedient und über die Balance der verschiedenen Klangkörper entscheidet. Hinzu kommt, wenn wir im nächsten Schritt beobachten was der Klanregisseur eigentlich tut, dass er darüber hinaus Sounddesigner ist.
Und die Aufgaben des Sounddesigners liegen im Grunde noch vor den Aufgaben, die der Klangregisseur später in einer Probe oder im eigentlichen Konzert hat. Der Begriff Klangregie kommt, wie eingangs erwähnt, von Luigi Nono und Karlheinz Stockhausen. Der Klangregisseur ist die Person, die im Saal sitzt und den Klang regelt, eben ein Regisseur des Klanges. Zugleich ist dieser Begriff insbesondere mit der neuen Musik verbunden, denn dort hat man tatsächlich eine Partitur vorliegen und darüber zu entscheiden, wie laut die Instrumente sind, wie sie klingen, aus welcher Richtung sie erscheinen, und das in der Regel immer verbunden mit unterschiedlichster Elektronik. Nono und Stockhausen haben beide in ihren Kompositionen und für ihre Musik Elektronik eingesetzt. Ob das Ringmodulatoren waren, Bänder die zugespielt worden oder Klangverfremdung, die beide gleichsam ausprobierten und somit erstmals in die sogenannte klassische Musik einarbeiteten. Der Klangregisseur entscheidet über sämtliche musikrelevanten Parameter. Er führt die Klangregie.

Wie eng arbeitet der Klangregisseur mit dem Komponisten zusammen?

Der Klangregisseur muss sehr eng mit dem Komponisten zusammen arbeiten, bzw. sich mit dem Komponisten intensiv befassen. Denn die eigentliche Arbeit beginnt bereits meist, während die Musik entsteht. Ich will das an dieser Stelle aus dem Industriebereich herleiten: Im Prinzip ist die Arbeit vergleichbar mit der eines Sounddesigners, jedoch auf einem anderen Niveau. Erhalte ich den Auftrag zu einer Uraufführung einer Komposition eines Komponisten XY, beschäftige ich mich mit dem Komponisten und höre mir vorhandene Aufnahmen seiner Werke an. Lebt der Komponist noch, treffe ich mich mit ihm, um mit ihm über sein Werk zu sprechen. Vielleicht gibt es bereits eine Partitur. Diese wäre dann zunächst einmal mein Lehrbuch. Allerdings habe ich bereits viele Aufführungen gestaltet, bei denen es zuerst keine Partitur gab. Am Anfang stand hier oftmals das Gespräch mit dem Komponisten. Heiner Goebbels ist da ein gutes Beispiel. Bei ihm entstehen zuerst Ideen, Bilder und Szenen, und erst viel später legt er Dir seine Partitur vor. Letztendlich sind verschiedene Elemente für die Entstehung des Sounddesigns eines Klangregisseurs entscheidend. Ganz wesentlich sind jedoch die intensive Auseinandersetzung mit dem Komponisten und der Partitur.
Interessanter Weise war der Komponist Karlheinz Stockhausen zugleich ein großartiger Klangregisseur, der bei seinen eigenen Werken am Mischpult saß und Klangregie führte.

Ergo hat er bei der Inszenierung seiner Werke nicht das Orchester dirigiert sondern am Mischpult gesessen?

Natürlich gibt es auch Werke, die er dirigiert hat, aber in der Regel hat er am Mischpult gesessen, die Partitur gelesen und die Regler geschoben. Dabei sind auch viele seiner Bilder entstanden. Ich sehe ihn heute noch mit seinem Rüschenhemd und seinem weißen "besonderen" Anzug am Mischfeld sitzen. Durch eine Zusammenarbeit mit Karlheinz Stockhausen entstanden meine ersten Bezugspunkte zum Thema Klangregisseur. Durch ihn habe ich letztendlich die Neue Musik kennen und lieben gelernt. Vor rund 25 Jahren wirkte ich bei einer Inszenierung seiner Komposition "Mixtur" in London mit. Bei "Mixtur" gibt es kleine Mischpultspiele auf der Bühne. Eins der beiden eingesetzten Mischpulte wurde damals von mir bedient. Da war ich gerade einmal 18 oder 19 Jahre alt. Er selbst führte bei dieser Inszenierung Klangregie. So habe ich die neue Musik sehr intensiv mit und durch Karlheinz Stockhausen kennenlernen dürfen. Danach habe ich ihm sehr oft - so wie es mir die Zeit damals erlaubt hat - bei Konzerten und Tourneen assistiert. Heute kann ich mit Bestimmtheit sagen, dass die Begegnungen mit Karlheinz Stockhausen und der Neuen Musik für mein berufliches Leben prägend waren.

In welcher Weise hast Du die Aufgabe des Klangregisseurs bei Surrogate Cities erfüllt? Das Orchester, die Berliner Philharmoniker und Leitung von Sir Simon Rattle, wurden in der Arena auf einer Center Stage platziert. Das Publikum - rund 2.700 Personen - bekam seinen Platz auf 16 einzelnen Tribünen rund um die Bühne zugewiesen. Zusätzlich zur Hauptbühne wurde zwischen Publikum und Orchester eine sieben Meter breite Aktionsfläche für Tänzer und Darsteller eingerichtet, die im oval um die Center Stage platziert war. Das wirkt auf den ersten Blick sehr komplex!

Die Klangregie begann für mich bei Surrogate Cities mit der Erstellung des Sounddesigns. In diesem Fall bist Du als Sounddesigner kein klassischer Toningenieur, der die Pegelverteilung und die Frequenzbilder im Raum betrachtet, sondern Du bist zugleich auch Musiker. Das heißt, Du bist ein Kreativer und arbeitest an diesem Punkt bereits mit dem Komponisten zusammen. Dazu kommen einfache Fragen, wie: Wo findet die Inszenierung statt? Wie sieht die Location aus? Welches Budget steht zur Verfügung?.... Nachdem ein Sounddesign erstellt ist das Bestand hat und funktioniert, arbeite ich im nächsten Schritt als Sound Engineer. Somit bin ich natürlich auch dabei, wenn das ganze Setup in der Halle eingerichtet wird und entscheide, wo und wie hoch die Lautsprecher hängen und wie sie am Ende klingen. Du nimmst als Klangregisseur kein fertiges Produkt an, was irgendjemand für Dich konfiguriert, sondern Du entscheidest allein oder mit einem kompetenten Team - je nachdem wie komplex das Thema insgesamt ist - wie das Beschallungssystem am Ende auszusehen hat. Somit erfüllst Du den Part des Sound Engineers.
Wenn es dann zur ersten Probe kommt, beginnt meine zentrale Rolle als Klangregisseur. Vor mir liegt die Partitur und ich entscheide über den Klang, produziere das Klangbild, das sich in diesem Fall Heiner Goebbels als Komponist erwünscht hat. Genau dieses Klangbild habe ich im Vorfeld in den Gesprächen mit dem Komponisten erkundet. Es geht immer um die Frage: Was möchte der Komponist hören? Du hast mit Ihm gesprochen, du hast Musik vom ihm gehört und du hast deine eigenen Vorstellungen entwickelt. All das ziehst Du in dem Moment zusammen, wenn du final mit der Partitur am Mischpult sitzt und die Klangregie führst.

Kannst Du einmal in ein oder zwei Bespielen definieren, was der Komponist Heiner Goebbels bei Surrogate Cities hören will?

Eine wichtige Aussage ist beispielsweise: "Der Sampler ist ein Solist, ebenso wie die beiden Sänger. Der Sampler hat gegenüber den Sängern im Klangbild eine gleichberechtigte Position." Das bemerkt man beispielsweise daran, dass der Dirigent den Rhythmus des Samplers abnimmt, um das Orchester zu dirigieren. Das heißt: Der Sampler gibt das Tempo vor. Um den Sampler optimal zu hören, hat Sir Simon Rattle hierzu einen Monitorlautsprecher am Pult stehen.
Ein weiteres wichtiges Element ist für Heiner Goebbels mit verschiedenen Distanzen zu spielen. So hast Du im sinnbildlichen Vergleich zum Klang ebenso unterschiedliche Möglichkeiten mit einer Kamera ein Bild zu betrachten. Du kannst mit Deiner Kamera ganz nah rangehen, du kannst auf halbe Distanz gehen oder Dich ganz weit entfernen. Mit Klängen kannst Du ebenso agieren. Und genau das ist es, was ich bei den Inszenierungen von Heiner Goebbels immer wieder tue. Zum Beispiel hast Du heute den Kantor nur aus der Ferne gehört. Hingegen war das Marimbaphon ganz nah zu hören. Ich vergleiche das gerne mit der Betrachtung eines Bildes im Museum. Mal gehst Du nah heran, um die Details zu betrachten, und dann gehst Du weiter weg, um das gesamte Bild zu sehen. So entstehen ganz unterschiedliche Eindrücke. Das simulieren von unterschiedlichen Entfernungen eines Klangs ist ein spielerisches Element, mit dem ich als Klangregisseur häufig agiere. Je nach Setup gibt es da ganz unterschiedliche Möglichkeiten Distanzen zu simulieren, z.B. durch einen Raum, den ich hinzumische, durch die Intensität des Signals, durch die Platzierung im Lautsprechersystem oder durch eine Verzögerung.

Was bedeutet für Dich im Speziellen Klangregie im Zusammenspiel mit den Berliner Philharmonikern?

Die Klangregie bei den Berliner Philharmonikern ist natürlich besonders spannend, da du hier einen wahrhaft königlichen Klangkörper hast. Es ist das "State of the Art Orchestra", und bei dieser Inszenierung in einer ganz besonderen Situation. Das Orchester sitzt, umgeben vom Publikum, mitten im Raum. Dazu kommt ein Sampler und dass sechs Schlagzeuger hinter dem Orchester stehen. Das alles ist für diesen Klangkörper eher ungewöhnlich. Und nicht zuletzt die Elektronik, wie sie bei Surrogate Cities zum Einsatz kommt. Das ist für dieses Orchester etwas ganz neues und in der Summe vollkommen konträr zur klassischen Konzerthaussituation. Normaler Weise wird das Klangbild des Orchesters ausschließlich vom Dirigenten und den Musikern entschieden. Bei Surrogate Cities kommt der Klangregisseur hinzu, der mit Hilfe von Elektronik auch über das Klangbild entscheidet. Hier gilt es absolut auf den Punkt zu arbeiten, und das fängt bereits beim Soundcheck an. Eigentlich wollte das Orchester für die Inszenierung keinen Soundcheck durchführen. Doch habe ich aufgrund der besonderen Konfiguration aus Orchester, Sampler, Sängern; Tänzern, dem Raum und dem Einsatz von Elektronik darauf gedrängt einen Soundcheck anzusetzen. Dieser wurde dann auch vorm Orchestervorstand genehmigt und mit einer halben Stunde Zeit bedacht. Nach 15 Minuten war der Soundcheck von meiner Seite erledigt. Da war man dann seitens der Berliner Philharmoniker positiv überrascht. Machst Du allerdings bei diesem Orchester in einer solchen Situation einen Fehler, ist das ausgesprochen unangenehm und schmälert das Ansehen deutlich.

Aus welchen Komponenten setzt sich das Soundsysten zusammen?

Das Soundsystem besteht im Prinzip aus Meyer Sound Lautsprechern und einer Yamaha PM-1D Konsole. Mit Hilfe des Meyer Sound SIM2 Audio Analyzers und der Simulationssoftware MAPP Online Pro hat Ivo König, der bei diesem Projekt mein Assistent war, präzise erarbeitet, wo genau die Lautsprecher zu positionieren sind. Um für dieses Projekt ein Konzept und eine Kostenschätzung zu erstellen, gab es zuvor eine Begehung der Arena mit allen Beteiligten. Dabei funktioniert man als Klangregisseur im Prinzip wie ein Architekt. Mit Bleistift und Notizblock in der Hand erstellte ich eine Skizze und entwarf eine Idee. Und genau diese Idee wurde schließlich umgesetzt. Exakt die Lautsprecher, genau die Anzahl, und relativ genau die Positionen, da man die Lautsprecher in dieser Arena nicht überall in die Hallendecke hängen kann. Das SIM2 hat uns bei der Planung sehr geholfen. Insgesamt hängen 8 Line-Arrays, bestehend aus je 6 Meyer Sound M-1D. Als Subwoofer kommen acht USW-P Lautsprecher zum Einsatz, die wir exakt nach MAPP-Simulation dezentral unter und neben den Tribünen platzierten. Dazu kommen zehn Meyer Sound UPA-1P Frontfill-Lautsprechern, zwei Meyer Sound Galileo Systemprozessoren, ein TC M4000 Digitalhall sowie der Meyer Sound SIM3 Audio Analyzer. Zur Verbesserung der Raumakustik hängten wir zudem dämpfende Vorhänge auf.

Wie hast Du die gleichmäßige Klangausleuchtung des Publikums bei den zentral positionierten Berliner Philharmonikern gelöst?

Das Orchester ist mehr oder weniger umgeben von Lautsprechern, die allesamt geflogen sind. In diesem Fall gibt es ein ganz wichtiges Gesetz, das man befolgen muss, nämlich das Gesetz der ersten Wellenfront. Man muss darüber nachdenken, wie Schall reflektiert wird. Im Konzerthaus der Berliner Philharmoniker befinden sich Reflektoren über dem Orchester, die den Schall des Orchesterklangkörpers zum Publikum reflektieren. Hier in der großen Arena muss man elektronisch nachhelfen, um diesen Klang im selben Weg zu verstärken. Somit werden quasi die Reflektoren des Konzerthauses durch die Lautsprecher ersetzt. In diesem Fall sind es acht geflogene Hauptquellen in der Hallendecke. Unterstützt werden diese durch acht kleinere Schallquellen am Boden, die ebenfalls nach dem Gesetz der ersten Wellenfront die ersten Meter zum Publikum überbrücken und eine Definition geben, wo der Klang nach diesem Gesetz herkommt. Dazu gibt es noch Basssysteme die, wie bereits erwähnt, unter und neben den Publikumstribünen liegen, da man sie bekanntlich nicht so gut orten kann. Für die Basssysteme wäre vor dem Orchester kein Platz gewesen. Zudem hätten sie nicht zur Ästhetik der Inszenierung gepasst. So finde ich, dass es schön gelöst ist. Du siehst eigentlich kaum etwas von den Lautsprechern und trotzdem hast du den Eindruck, der Klang kommt vom Orchester. Zugleich spürst du auch ein wenig den Klang der Bässe, der Pauken und der großen Trommeln. Das Soundsystem produziert Volumen. Da wird Luft bewegt, ohne dass der Eindruck entsteht, es springt dich an. Und trotzdem trägt das System auch dem Rechnung, was der Komponist möchte, nämlich Nähe und Entfernung zu simulieren. Das System bietet Dir nicht nur die Möglichkeit Instrumente ein wenig nice zu machen, ein wenig aufzufrischen oder etwas crisp zu machen; das könnte man auch mit weniger Aufwand erzeugen. Bei diesem System kann ich mir ausgesuchte Klangquellen ein wenig ranholen. Aber nicht zu plakativ. Zum Beispiel muss bei den Sängern jedes Wort zu verstehen sein, und auch das Solo des Flötisten oder des Konzertmeisters muss für das Publikum musikalisch zu verstehen sein. Man muss jedes Solo im Detail wahrnehmen können, ohne dass es unangenehm plakativ aus dem Klangbild herausragt. Und genau das bietet mir dieses Soundsystem. Ohne die Lautsprecher würde das bei diesem Stück hier in dieser Halle nicht funktionieren. Hier handelt es sich nicht um eine Symphonie von Beethoven, sondern um ein Stück von Heiner Goebbels, bei dem Du nicht von Anfang an alles hörst. Das Stück ist automatisch mit dem Gedanken an elektronische Verstärkung geschrieben. Ein Konzertflügel, der hinten in der Mitte vom Orchester steht, würde ohne Verstärkung im Tutti niemals funktionieren.

Kennst Du eigentlich Kollegen, die ähnlich wie Du arbeiten?

Eine Partitur Neuer Musik zu lesen und gleichzeitig die Regler zu schieben ist natürlich nicht ganz ohne. Tatsächlich kenne ich leider nicht viele meines Faches, die das wirklich drauf haben.

Wie sieht in Deinen Augen heute der Ausbildungsweg zum Klangregisseur aus oder wie könnte er sich für einen potentiellen Interessenten gestalten?

Am besten so wie ich es gemacht habe (lacht)! Natürlich ist dieser Beruf sehr speziell, denn er schließt vieles ein. Ein klassisches Studium, beispielsweise zum Toningenieur oder Tonmeister, deckt eben nur einen Teil des genannten Berufsbildes ab. Eine Möglichkeit besteht darin ein Stipendium an der Internationalen Ensemble Modern Akademie in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt zu bekommen. Das kann zum einen ein Stipendium sein für Tonmeister sein, die noch im Studium sind, oder zum anderen sogar ein Master für Tonmeister, die ihr Studium bereits abgeschlossen haben. Interessenten müssen dafür eine Aufnahmeprüfung machen. Sebastian, der heute hier war, ist mittlerweile mein vierter Stipendiat. Er hat zuvor das Tonmeisterstudium in Wien abgeschlossen und hat dann die Aufnahmeprüfung und somit das Stipendium für ein Jahr an der Akademie gewonnen. Dennoch kann ich keinen festen Ausbildungsweg benennen, aber das Studium zum Tonmeister oder Toningenieur und das Stipendium wären eine Möglichkeit die Graduierung zum Klangregisseur zu bekommen. Klangregie ist eben kein geschützter Begriff und im Prinzip kann sich jeder Klangregisseur oder Sounddesigner nennen. In anderen Bereichen ist das ja ähnlich. Der Begriff Lichtdesigner ist ebenso wenig geschützt. Wenn ich jedoch die Möglichkeit gehabt hätte damals noch ein Stipendium zu bekommen, wäre ich hundertprozentig diesen Ausbildungsweg gegangen. In die Akademie werden jedes Jahr Musikerstipendiaten für alle instrumentalen Hauptfächer aufgenommen, die im Ensemble Modern vertreten sind. Zudem wird ein Dirigent, ein Komponist und ein Klangregisseur aufgenommen. Für die Stipendiaten erstellen wir ein Programm, das geprobt und schließlich aufgeführt wird. Das ist eine erstklassige Ausbildung und eröffnet dem Stipendiaten für Klangregie den Kontakt zu jungen Komponisten, aber auch zu Komponisten, deren Stücke das Ensemble Modern aufführt. Somit kann er viele Erfahrungen sammeln, wie ich sie zuvor beschrieben habe. Darüber hinaus kann er mitreisen und mir assistieren, nicht nur beim Ensemble Modern sondern beispielsweise auch bei den Berliner Philharmonikern. Da das Stipendium von der Bundeskulturstiftung unterstützt wird, erhält der Stipendiat auch finanzielle Unterstützung. Ich denke, bessere Voraussetzungen lassen sich nicht schaffen. (> www.internationale-em-akademie.de)

Ich bedanke mich herzlich für das Gespräch.


Zur Person Norbert Ommers

Bis heute wirkte Norbert Ommer bei zahlreichen internationalen Festivals wie Wien Modern, Frankfurt Feste, Festival d' Automne á Paris, Ars Musica Brüssel, Holland Festival, Salzburger Festspiele, BBC Proms, Donaueschinger Musiktage, Edinburgh International Festival, Lincoln Center Festival und dem Telstra Adelaide Festival mit. Als Sounddesigner und Klangregisseur hat er sich bei Uraufführungen von Frank Zappa ( "The Yellow Shark", "Greggory Pecary & other persuasions"), Heiner Goebbels ("Surrogate Cities", "Schwarz auf Weiss", "Industry and Idleness", "Eislermaterial", "Walden" und "Landschaft mit entfernten Verwandten"), Mark Anthony Turnage ("Blood on the Floor"), Steve Reich ("Proverb", "City Life" und "Three Tales") und Michael Gordon ("Decasia", "Shelter") national und international einen Namen gemacht.
Für Komponisten wie Karlheinz Stockhausen, Peter Eötvös, John Adams, Helmut Lachenmann, Michael Gordon, Louis Andriessen, Kaja Saariaho, Fred Frith und für Künstler wie Lalo Schiffrin, Bill Viola und Patti Austin führt er regelmäßig die Klangregie. Im Frühjahr 2003 arbeitete Norbert Ommer erstmals mit den Berliner Philharmonikern unter der Leitung von Sir Simon Rattle und Peter Eötvös zusammen. Im November 2002 wurde er mit dem Goldenen Bobby ausgezeichnet, der damals erstmals vom VDT (Verband Deutscher Tonmeister) für herausragende Sounddesign- und Klangregie-Leistungen verliehen wurde. Seit Dezember 2003 ist Norbert Ommer Dozent für Klangregie bei der Internationalen Ensemble Modern Akademie. Im Oktober 2004 wurde Norbert Ommer mit dem Ensemble Modern der Echo Klasssik Preis verliehen.


Zu Surrogate Cities

Surrogate Cities ist ein musikalisches Bühnenwerk von Heiner Goebbels (*1952 deutscher Musiker, Komponist, Hörspielautor, Regisseur und Professor für Angewandte Theaterwissenschaft. Er zählt zu den international bedeutendsten Exponenten der zeitgenössischen Musik- und Theaterszene). Im Rahmen der Planung und Realisierung entstand eine Kooperation der UdK Berlin, Fakultät Darstellende Kunst, Studiengang Kostümbild, und der Kunsthochschule in der Universität Kassel, Studiengang Produktdesign, Leitung Prof. Jakob Gebert, und der Berliner Philharmoniker im Rahmen der Education Projects und des Komponisten Prof. Heiner Goebbels.

"Surrogate Cities" ist der Versuch, sich von verschiedenen Seiten der Stadt zu nähern, von Städten zu erzählen, sich ihnen auszusetzen, sie zu beobachten; Material über Großstädte, das sich im Laufe der Zeit angesammelt hat. Zum Teil entstand es auf Anregung von Texten, aber auch anhand von Zeichnungen, Strukturen, Klängen: dabei spielt das Gegenüber von Orchester und Sampler eine größere Rolle, weil der Sampler Klänge, Geräusche speichert, die normalerweise im Orchesterklang keinen Platz haben. Ich verbinde damit ein realistisches, durchaus widersprüchliches, aber letztlich positives Bild einer modernen Großstadt. Mein Ausgangspunkt ist nicht der der Nahaufnahme, sondern der Versuch, die Stadt als Text zu lesen, etwas aus ihrer Mechanik, Architektur in Musik zu übersetzten...

In den Machtverhältnissen der Stadt ist der Einzelne immer der Unterlegene. Die Kunst rebelliert gegen diese starke Struktur, indem sie das Subjektive erhöht. Auch Musik wird ja aus einer sehr subjektiven Perspektive komponiert, d.h., meistens begründen die Komponisten das, was sie schreiben, damit, dass es "aus ihnen raus müsse". Das trifft für mich nur bedingt zu. Ich versuche, etwas mehr Abstand zu halten, ich baue etwas, das gegenüber dem Publikum einen Platz einnimmt, und das Publikum reagiert darauf, hat in der Musik einen Raum, in den es mit seinen Assoziationen, Vorstellungen reingehen kann. (Aus einem Werkstattgespräch mit Heiner Goebbels, ECM New Series).

Bis heute wirkte Norbert Ommer bei zahlreichen internationalen Festivals wie Wien Modern, Frankfurt Feste, Festival d' Automne á Paris, Ars Musica Brüssel, Holland Festival, Salzburger Festspiele, BBC Proms, Donaueschinger Musiktage, Edinburgh International Festival, Lincoln Center Festival und dem Telstra Adelaide Festival mit. Als Sounddesigner und Klangregisseur hat er sich bei Uraufführungen von Frank Zappa ( "The Yellow Shark", "Greggory Pecary & other persuasions"), Heiner Goebbels ("Surrogate Cities", "Schwarz auf Weiss", "Industry and Idleness", "Eislermaterial", "Walden" und "Landschaft mit entfernten Verwandten"), Mark Anthony Turnage ("Blood on the Floor"), Steve Reich ("Proverb", "City Life" und "Three Tales") und Michael Gordon ("Decasia", "Shelter") national und international einen Namen gemacht.
Für Komponisten wie Karlheinz Stockhausen, Peter Eötvös, John Adams, Helmut Lachenmann, Michael Gordon, Louis Andriessen, Kaja Saariaho, Fred Frith und für Künstler wie Lalo Schiffrin, Bill Viola und Patti Austin führt er regelmäßig die Klangregie. Im Frühjahr 2003 arbeitete Norbert Ommer erstmals mit den Berliner Philharmonikern unter der Leitung von Sir Simon Rattle und Peter Eötvös zusammen. Im November 2002 wurde er mit dem Goldenen Bobby ausgezeichnet, der damals erstmals vom VDT (Verband Deutscher Tonmeister) für herausragende Sounddesign- und Klangregie-Leistungen verliehen wurde. Seit Dezember 2003 ist Norbert Ommer Dozent für Klangregie bei der Internationalen Ensemble Modern Akademie. Im Oktober 2004 wurde Norbert Ommer mit dem Ensemble Modern der Echo Klasssik Preis verliehen.

Production Partner, 11/2008