Eine musikalische Homage

Im EISLERMATERIAL verarbeitet der deutsche Komponist und Regisseur Heiner Goebbels einige der berühmtesten Stücke von Hanns Eisler. In der Elbphilharmonie wurde die liebe-volle Hommage durch Heiner Goebbels und dem Ensemble Modern mithilfe von Klang-regisseur Norbert Ommer aufgeführt.

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Hanns Eisler, der österreichische Komponist, hinterließ nebst seiner musikalischen Werke auch eine Reihe musiktheoretischer sowie einflussreicher politischer Schriften und ein Libretto. Politisch wie auch künstlerisch gesehen war er der engste Wegbe-gleiter des Dramatikers und Lyrikers Berthold Brecht, mit dem er von Ende der 1920er Jahre bis zu dessen Tod persönlich und musikalisch verbunden war, 1998 wäre Hanns Eisler 100Jahre alt geworden-aus diesem Anlass schuf der deutsche Komponist, Professor für Angewandte Theaterwissenschaftler und Regisseur Heiner Goebbels mit dem EISLERMATERIAL eine Hommage an ihn und zugleich auch eine sanfte Dekon-struktion, die in ihrer Komplexität an Eislers widersprüchliche und hochpolitische Kunst anknüpft. Begleitet wird er bei diesem Projekt vom Ensemble Modern wie auch vom Klang-regisseur Norbert Ommer und dem deutschen Schauspieler Josef Bier-bichler, der dieser Aufführung eine Stimme verlieh.

Am o4.Februar 2020 wurde dann die Elbphilharmonie in Hamburg zum Schauplatz dieser musikalischen Besonderheit.

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Das Ensemble Modern
Seit der Gründung im Jahr 1980 zählt das Ensemble Modern (EM) zu den führenden Ensembles für Neue Musik. Es vereint rund 19 Solistinnen und Solisten aus Belgien, Bulgarien, Deutschland, Griechenland, Indien, Israel, Japan, den USA und der Schweiz.
Die Herkunft der Mitglieder bildet den kulturellen Hintergrund des Ensembles.

Das in Frankfurt am Main beheimatete Ensemble Modern ist bekannt für
seine einzigartige Arbeits-und basisdemokratische Organisationsweise-Künstlerische Projekte, Partnerschaften und finanzielle Belange werden gemeinsam entschieden und getragen. Seine unverwechselbare pro-grammatische Bandbreite umfasst Musiktheater, Tanz-und Videoprojekte sowie auch Kammermusik, Ensemble-und Orchesterkonzerte.

In diesem Jahr feiert das Ensemble Modern sein 40-jähriges Bestehen mit einem ganz-jährigen Jubiläumszyklus sowie zahlreichen Konzerten im In-und Ausland. Damit zeigt dieses Ensemble erneut die Vielfalt seines musikalischen Wirkens. Neben seinen vielfältigen Aktivitäten auf dem Podium präsentiert das Ensemble Modern die Ergebnisse seiner Arbeit auch auf Tonträgern, die vielfach ausgezeichnet wurden -fast 40 der insgesamt über 150 Produktionen erschienen im eigenen, 1999 initiierten Label Ensemble Modern Medien.

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Die Hommage in der Elbphilharmonie
Der deutsche Komponist, Regisseur und Professor für Angewandte Theaterwissenschaft, Heiner Goebbels, ist bereits seit Jahrzehnten mit der musikalischen Arbeit von Hanns Eisler vertraut. Ihm gelingt mit dem EISLERMATERIAL eine ganz persönliche Hommage an den großen dialektischen Denker und Komponisten. Als Klangregisseur für diese atemberau-bende Aufführung fungiert Norbert Ommer, der außerdem als Dozent für Klangregie
bei der Internationalen Ensemble Modern Akademie tätig ist.

Wir haben uns mit Ihm über die Inszenierung des EISLERMATERIAL in der Elbphilharmonie Hamburg unterhalten.

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Interview Norbert Ommer zu EISLERMATERIAL

pma: Eislermaterial geht sowohl musikalisch, in seiner Inszenierung wie auch in der technischen Umsetzung über jede Grenze des Konventionellen hinaus. Können sie uns etwas zur Entstehung dieses szenischen Konzertes erzählen?

Der Regisseur und Komponist Heiner Goebbels hat sich schon sehr früh in seinem Leben mit dem Komponisten Hanns Eisler beschäftigt und so entstand damals die Idee mit Ihm und dem Ensemble Modern, einen Abend mit der Musik von Hanns Eisler zu entwickeln.
Wir haben gleich daran gedacht, diesen Abend szenisch zu gestalten. EISLERMATERIAL (1998) ist sozusagen aber auch eine Folge der sehr schönen Zusammenarbeit mit Heiner Goebbels und seinem Werk BLACK ON WHITE, welches wir im Jahr 1996 gemeinsam produziert haben.
Beide Werke wurden bisher weltweit aufgeführt. Bei BLACK ON WHITE sprechen wir da von ca. 80 Aufführungen rund um den Globus und bei EISERMATERIAL von ca. 60 Konzerten.

pma: Das Bühnen- und Beschallungskonzept ist nicht veranstaltungstechnisch konzipiert, sondern Teil des Klangkörpers, der Symbiose von Raumklang und dem Ensemble Modern.
Wie sind sie und Heiner Goebbels konzeptionell an die Umsetzung heran gegangen und gab es im Vorfeld eine Art Klangideal?

Das wunderbare an der Zusammenarbeit mit Heiner Goebbels ist u.a. auch, das wir ein gegenseitiges Vertrauen zueinander entwickelt haben. Das heißt, ich habe die Möglichkeit unterschiedliche Ideen in meinem Sounddesign zu entwickeln. Bei EISLERMATERIAL war es für mich definiert in der Bestimmung zum Komponisten Hanns Eisler. Bei der Musik von Hanns Eisler handelt es sich um Ensemble Musik zwischen ca. 1930 bis 1960. Das Ideal nach dem ich suchte, war also zunächst ein sehr akustischer Klang, den ich aber in alle Konzerthäuser und Theater der Welt transponieren kann. Wichtig hierbei zu beachten ist natürlich die Instrumentierung und Aufstellung des Ensembles. Hierbei fällt zunächst auf, das ein Schauspieler (Josef Bierbichler) den Gesangspart übernimmt. Auch gibt es einen Sampler
(elektronische Sounds) auf der Bühne im Ensemble und Soundcollagen (original Sprache von Hanns Eisler aus Interviews, aber als Soundcollage gearbeitet und mehrkanalig im Raum projeziert).
Das Klangideal welches ich anstrebte war also zunächst ein akustisches, mit der Möglichkeit der Transposition (also in einen X-beliebigen Raum), mit der Möglichkeit den Klang von der Bühne auch in das Auditorium zu bewegen (Surround Anordnung der Sampler Zuspielungen und Tonbandcollagen sowie einiger Spezial Sound Effekte) und dem akustischen Spiel zwischen Nähe und Entfernung. Hiermit war dann auch sofort klar, das eine Mikrofonierung aller Instrumente vorzusehen war.

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pma: Was hat es mit der U-Form als Bühnenrahmen auf sich?

Ich denke, hier geht es dem Komponisten Heiner Goebbels um die bildliche Wiedergabe der Haltung zur Musik von Hanns Eisler. Dies Haltung sollte nicht aus Nostalgie geprägt sein, hierzu hätte man dann einen gewöhnlich klassischen Ensemble Aufbau gesucht. Es geht Heiner Goebbels um die Aneignung des Materials durch die Musiker. Dies geschieht durch den Verzicht auf einen Dirigenten (was im übrigeen bestimmt auch Hanns Eisler gefreut hätte). Das bedeutet aber auch das alle Musiker eine Übersicht über die verschiedenen musikalischen Stimmen haben. Dieser Überblick wird aber gerade durch die Sitzordnung erschwert. So entsteht ein ständiges Bemühen um ein gutes Zusammenspiel und wird so auch transparent für die Zuhörer/-schauer. Hier kann sich niemand verstecken, alles liegt offen. Daraus entsteht aber immer wieder, bei jeder Aufführung, eine erfrischende Reibung b.z.w Spannung, sowie eine konzentrierte Haltung, welche sich natürlich auf den Zuhörer überträgt. Ich denke hierin liegt auch ein Teil des Erfolges dieses Abends begründet.
Und ganz nebenbei ist dieser Aufbau auch licht- und bühnentechnisch in Szene gesetzt, was den visuellen Charakter des Abends sehr verfeinert.

pma: Die Art und Weise der Mischung und Funktionalität des Mischpults mutet in der Handhabung fast schon instrumental an. Wie unterscheidet sich ihre Arbeit hierbei von der eines konventionellen Toningenieurs?

Ich betrachte das Mischpult als mein Instrument. Gerne möchte ich diese Idee von dem instrumentalen Gedanken aber noch weiter fassen. Zu meinem Instrument gehören auch die Mikrofone und Lautsprecher welche ich verwende. Auch möchte ich mich von den eingeübten Funktionen des Tontechnikers, Sounddesigners, Ton-ingenieurs und Tonmeister lösen. Ich betrachte meine Aufgabe als die eines Klang-regisseurs.

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Das bedeutet für mich, das ich Sounddesigner, Toningenieur und Tonmeister in einer Person bin. Das macht mir sehr viel mehr Spaß und ist auch für alle mit denen ich zusammenarbeite wunderbar. Als Sound-designer ist man schon sehr früh mit dem Projekt in Berührung und kann wichtige Weichen für die Zukunft des Klanges schaffen. Als Toningenieur beschäftige ich mich dann sehr technisch mit dem was dazu gehört einen guten Klang zu schaffen. Als Tonmeister kann ich dann mit Partitur und Gehör alles Zusammenbringen um ein erfolgreiches Ergebnis zu zeigen.

pma: Sie mischen als Klangregisseur zur Partitur. Arbeiten sie hierbei angelehnt an das EISLERMATERIAL in Szenen ?

Ja genau, ich arbeite mit der Partitur verwende aber verschiedene Szenen, da auch die Aufführung szenisch ist. Auch möchte ich verschiedene Prozesse in Szenen festhalten,
damit ich schnell neue elektroakustische Zustände umsetzten kann. Die Programmierung der Szenen ist aber fließend gestaltet, so daß ich in allen Prozessen Live mischen kann.
Gerade dieser Umstand des Live Mischens macht mir enormen Spaß und setzt vor allem eine direkte Umsetzung voraus, von dem was man hört und hören möchte. Hierzu ist es natürlich auch wichtig zu wissen, was ich überhaupt hören möchte, also eine Klangvorstellung zu haben. Diese sollte so gestaltet sein, das ich eine Anpassung von Projekt zu Projekt geschehen kann. So suche ich also immer nach einem Idealen-Klang in Bezug auf den Content!

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pma: Wie sind die Signale des Ensembles am Mischpult angelegt, mischen sie hierbei in Instrumentengruppen (Stems)?

Ja das geschieht, ich führe die Instrumente in Gruppen zusammen, um sie dann zu matrizieren. So erschaffe ich mir die eine größt mögliche Felxibilität von unter-schiedlichen Mixen in verschiedenen Hörzonen des Auditoriums. Auch bietet sich so die Möglichkeit verschiedene Gruppen unterschiedlich im Mix zu platzieren (PANORAMA und DEALY) und Einzuordnen (COMPRESSOR/LIMITER). Durch die Verwendung von Gruppen und Matrix kann eine zusätzliche Mischebene für unter-schiedliche Hörzonen gestaltet werden.

pma: Welche Präferenzen galten bei der Auswahl der Mikrofonierung unter der Prämisse diese möglichst unsichtbar positionieren zu können und welche Modelle kamen hierbei zum Einsatz?

Richtig, zu meinem ursprünglichen Sounddesign gehörte auch, das man keine Mikrofone sieht, um also das akustische Spiel von Nähe und Entfernung noch spannender zu machen.
Den gleichen Ansatz vertrete ich im übrigen auch bei allen verwendeten Laut-sprechern im Auditorium und der Bühne. Leider funktioniert das in Orten wie der Elbphilharmonie nur sehr bedingt, da alles in so hellem Holz erstrahlt und sich die Lautsprecher in keiner weise verstecken lassen. In Theaterräumen funktioniert dieses Konzept aber wunderbar.
Als Mikrofonierung verwende ich viele DPA 4061 mit speziellen Halterungen, Schoeps
Colett mit unterschiedlichen Chrakteristiken sowie unterschiedliche Grenzflächen und Richtrohre.

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pma: Eine Besonderheit zum Konzert in der Elbphilharmonie war die mittige Anordnung der Bühne. Wie sind sie systemtechnisch an diese Aufgabe heran gegangen, zumal auch das Monitoring konventionell in Gestalt von Lautsprechern funktioniert?

Ja die normale Aufführungspraxis von EISLERMATERIAL ist die Theaterbühne mit U-förmigen Aushang, in welcher dann der Ensembleaufbau in U-Form eingegeben wird. Bei der Auf-führung in der Elbphilharmonie kann man aber von einer 360° Version sprechen. Auch ist dies ein Aufführung in einem Konzert und nicht Theaterraum. Durch die Auslegung meines Sounddesigns, in welchem im schon die möglichen Erweiter-ungen vorgesehen habe, mußte im Bühnenraum kein zusätzliches Monitoring erstellt werden. Allerdings war das Sounddesign für den Saal natürlich 360° anzulegen. Auch speziell für die Surround-Anordnung mußte ich neue Wege finden. Hier half mir aber, das ich eine erstes Surround-Anordnung schon erfolgreich bei METROPOLIS mit der Musik von Martin Matalon designed habe (darüber habe ich auch auf meiner home-page berichtet).

pma: Es gibt bei EISLERMATERIAL keinen Dirigenten. Wie funktionieren Ablauf, Metrum und Zusammenspiel während des Konzertes?

Dies ist immer wieder ein sehr interessant zu beobachtender musikalischer Prozess des aufeinander Hörens und der Verlagerung von Verantwortungen im Ensemble.
Durch ein ausbalanciertes Bühnenmonitoring, welches ich auch vom FOH mische, schaffen ich gute Hörbarkeiten auf der Bühne, auch bei den zum Teil großen Ab-ständen der Musiker
zueinander. Trotzdem muß natürlich auch die Bereitschaft der Musiker bestehen, z.B. einmal den Rhythmus vom Sampler, Klavier und Schlagzeug abzunehmen. Das gleiche gilt auch für die Intonation untereinander. Hier gilt es Verantwortung zu übernehmen.

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pma: Wie aufwändig ist die Anpassung an die Akustik der stetig wechselnden Konzerthäuser und wie viele Aufführungen von EISLERMATERIAL sind geplant?

Ich hoffe es werden noch viele Aufführungen von EISLERMATERIAL kommen. Es macht so einen Spaß, immer wieder im Jahr auch Werke aufzunehmen, welche mich schon so lange begleiten.
Und auch ist EISLERMATERIAL immer noch zeitgemäß in seinem Klang. Auch wenn ich z.B. kein analoges Mischpult wie 1998 einsetze, sondern an dem Punkt vollkommen digital arbeite. Auch kommen die Zuspielungen und Sampels nicht mehr von einem Sampler oder einer CD sondern von Computern.
Die Anpassung an verschiedene Venues ist ja quasi schon in meinem Sounddesign angelegt.
D.h. es gilt dieses dann zu interpretieren und wie in der Elbphilharmonie neue Ausdruckformen zu finden. So kann man das Werk u.U. auch in einem andern Klang erscheinen lassen.
Im Fall von EISLERMATERIAL bedeutet das, das ich meinem Klangideal für diese Werk folge und einen sehr intimen Klang versuche zu erschaffen, was in Räumen wie der Elbphilharmonie sehr gut gelungen ist.

Text: Lisa Schaft
Interview: Ray Finkenberger-Lewin
Fotos: Ralph Larmann


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