Three Tales

Hindenburg, Bikini-Atoll und Dolly
Die Video-Oper Three Tales

Norbert Ommer wurde für die Aufführung der Video-Oper "Three Tales" mit dem Goldenen Bobby des VDT ausgezeichnet. Elke Wisse sprach mit dem Klangregisseur über das Werk, die technische Umsetzung und den Einfluss des Toningenieurs auf die kreative Gestaltung bei der Aufführung.


DIE STORY

"Three Tales - a documentary digital video opera" ist eine Video-Oper in drei Akten von Steve Reich (Musik) und Beryl Korot (Video). Inhaltlich wird das 20. Jahrhundert exemplarisch an drei bestimmenden Ereignissen dargestellt: am Absturz des Zeppelins Hindenburg, an der Zündung der Atombombe auf dem Bikini-Atoll und an Dolly, dem geklonten Schaf. Damit wird jeweils eine Katastrophe vom Anfang, aus der Mitte und vom Ende des letzten Jahrhunderts erzählt. Das Wachstum und die Auswirklungen der technologischen Entwicklung in diesem Jahrhundert werden anhand der Anfänge der Flugtechnik bis hin zur ethischen Diskussion über die Zukunft des Menschen thematisiert.
Norbert Ommer zum Inhalt des Stückes: "Es geht in der Oper um drei Katastrophen, vielleicht drei Wendepunkte im letzten Jahrhundert. Das Stück soll lediglich aufmerksam machen, es werden keine Antworten gegeben. Die Oper zeigt verschiedene Betrachtungsweisen der Katastrophen. Dabei werden historische Zeitdokumente verarbeitet. Beim Absturz der Hindenburg kommen Zeitzeugen zur Sprache. Das heißt, neben dem Ton haben wir auch Sprache, vor allem Originaltexte und Originalgeräusche, die im Klang bearbeitet sind. Auch beim Bikini-Szenario wird viel Originalmaterial aus der damaligen Zeit verarbeitet."


WAS IST EINE VIDEO-OPER?

"Im Unterschied zur klassischen Oper läuft während der gesamten Aufführung ein Video. Dieses Video ist die Handlung. Die gesamte Oper steht und fällt sowohl inhaltlich als auch technisch betrachtet mit dem Video. Das Video wird gestartet und damit beginnt die Story. Das ist der Hauptunterschied zur klassischen Oper.
Aber vor allem ist natürlich der Einsatz der Tontechnik interessant, die auf einmal eine entscheidende Rolle spielt. In einem klassischen Opernhaus gibt es riesige Bühnenbilder, ein aufwendiges Lichtdesign, aber oft nur einen relativ kleinen Anteil an Tontechnik. Das ist hier anders. Bei "Three Tales" ist die Tontechnik enorm wichtig. Jedes Instrument ist verstärkt, alle Klänge, die auf der Leinwand zu betrachten sind, muss man hörbar machen. Das ist ein wichtiger Unterschied zu anderen Opern. Das Arbeiten mit Sound ist von entscheidender Bedeutung.
Im Unterschied zum Musical haben wir es nicht mit Popularmusik zu tun. Steve Reich ist ein Komponist des 20. Jahrhunderts, der durch Minimal Music bekannt geworden ist. Wir haben weder das Publikum noch die Räume eines Musicals. Die Verwendung der Tontechnik ist allerdings vergleichbar. Unsere Technik hat mindestens denselben Standard wie die eines Musicals."


DER BÜHNENAUFBAU

"Es gibt streng genommen keine Akteure auf der Bühne. Auf einer H-förmigen Plattform sitzen neben einem Streichquartett zwei Vibraphon-Spielern, zwei Pianisten und zwei Schlagzeuger. Auf der Bühne stehen fünf Sänger, die ebenfalls zum Ensemble gehören. Über den Musikern schwebt eine Leinwand mit einer Abmessung von 9x7 Metern. Die Story wird vom Video erzählt. Der Zuschauer soll sich permanent auf das Video konzentrieren und nicht durch äußere Einflüsse abgelenkt werden. Das Auge soll stets auf die Leinwand fixiert sein. Entsprechend sind das Lichtdesign und die ganze Ästhetik der Bühne so gestaltet, dass das Auge nicht vom Video abgelenkt wird. Man hat sogar eine spezielle Notenpultbeleuchtung designed, damit das Auge nicht durch Lichtreflexionen geblendet wird. Es wird große Sorge getragen, dass die Ästhetik des Gesamtwerkes nicht zerstört wird."


SOUND DESIGN UND KLANGREGIE

"Es war meine Aufgabe, dass Sound Design zu erstellen und gleichzeitig die Klangregie zu führen, und zwar mit dem Komponisten zusammen. Ich hatte bereits im Vorfeld großen Einfluss auf die Herstellung der Sounds. Ich konnte Ideen einbringen, wie man das Stück soundmäßig anders verarbeiten kann.
Beim Musical gibt es in der Regel einen amerikanischen Sound Designer und dann gibt es überall auf der Welt verstreut Toningenieure, die die Show fahren, ohne jemals Kontakt mit dem Komponisten oder dem Arrangeur gehabt zu haben. Das geht bei diesem Projekt viel weiter.

Es gibt drei Partitur zu diesem Werk, die ich zwei Wochen vor der Uraufführung bekommen habe. Neben den Klangquellen wie Sprache, Geräusche und historische Originalsounds gibt es das Musiker-Ensemble (ENSEMBLE MODERN, Frankfurt), das live spielt und elektronisch verstärkt wird und es gibt die Sänger (SYNERGY VOCALS, London).
Die Notation der Instrumente und die Gesangsstimmen stehen natürlich in der Partitur. Aber es gibt dort keine Anmerkung, was ich damit zu machen habe.

Ich habe mit Steve Reich besprochen, das alles verstärkt wird. Das kommt dem großen Bild, den wechselnde Aufführungsräumlichkeiten und natürlich auch seiner eigenen Ästhetik entgegen.
Aber wie ich verstärke, wie das Verhältnis der einzelnen Komponenten zueinander ist oder wie sich die Klangfarbe ändert, das hat der Komponist komplett mir überlassen.

Bild

Mit dem Video zusammen laufen zwei TASCAM MX2424, also zwei Harddisk Recorder, die permanent Sounds liefern: alle prerecordered Voices, die verschiedenen Stimmen, die innerhalb eines Aktes wechseln und die Sustain tones. Ein typisches Charaktermerkmal bei diesem Stück ist zum Beispiel die Unterstützung der Gesanglichkeit oder der Stimmmelodie durch prerecorded Instruments. Wenn z. B jemand Hallo sagt, dann läuft beispielsweise eine Cellostimme mit welche die Sprachmelodie doppelt und somit unterstützt.
Dann gibt es Geräuschspuren, z.B. die Propellergeräusche der Hindenburg. Einmal ist deutlich der Kölner Dom zu sehen; entsprechend hört man die Glocken des Doms.
Diese Dinge wurden im Vorfeld in New York aufgenommen. Die Sounds wurden vom Komponisten erstellt, aber wie ich sie jetzt zum Bild und zur Live-Musik mische, wie ich sie filtere, wie ich sie bearbeite - und man muss zum Teil eine Menge machen, weil es historische Aufnahmen waren - das ist komplett mir überlassen worden.

Das Ganze ist eine sehr komplexe Geschichte und funktioniert nur, wenn man den Komponisten sehr gut kennt und wenn man Erfahrung im Bereich von Neuer Musik hat. Man muss absolut sicher im Partiturstudium sein, denn bei "Three Tales" muss ich 60 Kanäle live mischen und gleichzeitig Partitur lesen. Jede Unsicherheit würde dem Stück schaden."


WECHSELNDE AUFFÜHRUNGSORTE

"Wenn man eine Klangidee entwickelt hat, dann kann man diese in verschiedene, unterschiedliche Räume adaptieren. Der Uraufführungssaal war das ehemalige Museumsquartier in Wien (1600 Zuhörerplätze). Danach ging es nach Amsterdam ins Carrè-Theater (1800 Zuhörerplätze) mit einer vollkommen anderen Architektur, einer komplett anderen Akustik. Weitere Aufführungsorte in diesem Jahr waren London, Lisabon, Berlin, Baden-Baden, Paris, New-York und Turin.
Hier gilt es dann zunächst handwerklich zu arbeiten, das heißt ein Sound Design zu erstellen und grundsätzlich ein technisches Umfeld zu schaffen, in dem die Aufführung stattfinden kann. Das muss in dem vorgegeben Zeitrahmen passieren, schnell und sicher funktionieren, es darf nichts ausfallen und es muss auch gut klingen.
Wenn das Handwerkliche funktioniert, dann kann man anfangen, Kunst zu machen und mit dem Komponisten auf den Raum abgestimmte Klangregie zu führen.
In manchen Häusern kann man mehr elektronische Sounds zeigen, in anderen Häusern macht man mehr ein akustisches Konzert, weil man die natürliche Akustik des Raumes nicht ausschalten kann. So klingt nicht jede Aufführung gleich. Aber dabei geht es natürlich um Nuancen. Dem Zuschauer fällt das wahrscheinlich gar nicht auf.
Alles, was man macht, muss man auf die Räumlichkeit anpassen, nur so kann man beste Ergebnisse erzielen. Das geht nur in Übereinstimmung mit dem Komponisten.


ZUSAMMENSPIEL DER GEWERKE

Um ein Werk dieser Art vernünftig auf die Bühne zu stellen, sind im Wesentlichen drei Gewerke bzw. drei hauptverantwortliche Personen beteiligt. In diesem Fall ist das der Technical Director der Produktion, der Lightning Designer und ich als Sound Designer und Klangregisseur. Das waren mit den Künstlern zusammen die wichtigsten Personen, die das Stück umgesetzt haben. Der Einfluss dieser Personen auf das Gelingen der Aufführung ist immens und die Mühe, die sich jeder macht, zeigt das Beispiel mit der Notenpultbeleuchtung. Auch beim Ton haben wir die Liebe ins Detail gesteckt. Man sieht z.B. während der Aufführung kein einziges Mikrofon auf der Bühne, obwohl alles verstärkt ist. Über die Zeit haben wir verschiedene Dinge ausprobiert und entwickelt. Das komplette Streichquartett wird zum Beispiel mit B&K Mikrofonen abgenommen, die an speziellen Geigenhalterungen montiert sind. Genauso habe ich eine Spezialhalterung für das Cello-Mikrofon entwickelt. Das sind viele kleine Details, die man sich mit der Zeit ausdenkt, um die Sache zu optimieren.
Diese Arbeiten sind notwendig, damit man dem Werk zum größtmöglichen Erfolg verhelfen kann und der Ästhetik der Künstler gerecht wird.

Zusammenfassend kann man sagen, dass der Klangregisseur in einem hohem Maße am Erfolg des Stückes beteiligt ist. Die Aufführung kann durch ihn eine ganz neue akustische und klangliche Dimension erreichen. Der Erfolg einer Aufführung hängt somit in einem hohem Maße von der glücklichen Hand des Klangregisseurs ab.

aus: VDT-Magazin 1/2003