Schwarz auf Weiß

Es gibt keine optimalen Räume für Neue Musik
Wenn jetzt im Schauspiel Frankfurt Heiner Goebbels' "Schwarz auf Weiß" aufgeführt wird, sorgt wieder Norbert Ommer für den richtigen Klang

Frankfurter Rundschau: Herr Ommer, wenn das Ensemble Modern zum Applaus aufs Podium kommt, winkt immer einer der Musiker in Richtung Mischpult und holt Sie auch nach vorne. Und das Publikum fragt sich dann, was Sie überhaupt gemacht haben. So gesehen ist der Job des Klangregisseurs doch ein undankbarer, oder?

Norbert Ommer: Mein Job ist genau an dieser Grenze angesiedelt: Zwischen den Musikern auf der Bühne und dem Publikum, ich sehe mich als Vermittler. Von daher mag ich es auch nicht sonderlich, auf die Bühne gebeten zu werden. Die Aufgabe selbst ist natürlich alles andere als undankbar, sie ist vielmehr sehr, sehr kreativ. Alleine in der Neuen Musik ist das Spektrum dessen, was Klangregie sein kann, schon riesig groß. Nehmen Sie dabei so unterschiedliche Komponisten wie Stockhausen, Zappa, Eötvös, Reich oder Goebbels mit ihren ganz speziellen Anforderungen: Bei den meisten bin ich mit dem, was ich da mache, völlig frei. Ein Geiger etwa ist da mit seiner Violinstimme wesentlich determinierter.

Hinter Ihrem Namen liest man meistens eine der folgenden vier Berufsbezeichnungen: Toningenieur, Tonmeister, Sounddesigner, Klangregisseur. Entspricht diese Sortierung der von Bube, Dame, König, Ass? Ist also die Klangregie der Trumpf unter den Tätigkeiten?

Klangregie und Sounddesign sind keine feststehenden Begriffe, im Gegensatz zu den Berufsbildern des Toningenieurs und des Tonmeisters. Klangregie beinhaltet Sounddesign ebenso wie eine Tonmeistertätigkeit. Im Vorfeld wird ein Sounddesign erstellt, dafür ist zunächst der Toningenieur gefragt. Wenn also Zubin Mehta Mahlers Zweite dirigiert vor 50 000 Zuhörern mit 300 Chorsängern und zwei Orchestern auf einer Freilichtbühne, benötigt man erst einmal ein detailliertes Sounddesign, eine technische Aufgabe. Dann das Studium der Partitur, die Abstimmung mit den Künstlern und die Regie an den Reglern fallen in den Bereich des Tonmeisters. Einer der Ersten, der diesen Begriff Klangregie überhaupt verwendet hat, war Karlheinz Stockhausen, mit dem ich früher eng zusammen gearbeitet habe und der mir die Ohren geöffnet hat für Neue Musik. Das Berufsbild selbst wird aber immer wichtiger, wie wir festgestellt haben. Deshalb gibt es seit zwei Jahren bei unserer Internationalen Ensemble Modern Akademie auch ein Stipendium für dieses Fach, was einzigartig ist in Deutschland. Denn die klassische Tonmeisterausbildung läuft mehr und mehr ins Leere, weil der Phonomarkt weggebrochen ist und immer weniger produziert wird, während in der Neuen Musik die Klangregie an Bedeutung gewinnt.

Vormittags sind Sie also Techniker, abends Künstler?

Wie Musiker ihr Instrument üben und sich Fingersätze in die Noten eintragen, mache ich meine Fingerübungen, indem ich am Sounddesign arbeite und das Equipment zusammenbaue, also mir überlege, wie der jeweilige Raum elektroakustisch bespielt werden kann. Abends wende ich dies dann an.

Oft haben Sie es ja mit ausgesprochenen Konzerträumen zu tun, das Goebbels-Stück "Schwarz auf Weiß" jetzt findet aber in einem Theaterraum statt - was ist für Sie günstiger?

Es gibt keine wirklich optimalen Räume für Neue Musik. Oft muss man einen großen Aufwand betreiben, um die Akustik so zu verändern - etwa durch Vorhänge, Teppiche, Schallsegel und Lautsprecher -, wie man sie braucht. Selbst ganz neue Säle wie in Essen oder Dortmund werden so konstruiert, dass nur für einen kleinen Ausschnitt aller möglichen Musik die Akustik ideal ist. Barockmusik, Kammermusik, aber auch Jazz oder Neue Musik klingen da nur ganz bedingt gut.

Was spräche dagegen, Ihren Part einmal zu fixieren - etwa auf CD - und dann bei jeder Aufführung zuzuspielen?

Man könnte das machen. Das Ergebnis gilt dann aber nur für den einen Moment. Das akustische Ereignis ist jedes Mal ein anderes: Mal spielt der Musiker etwas lauter, mal klingt der Raum anders. Man kann vorab viel fixieren, doch wie ein Live-Musiker auch muss ich dann doch immer neu das musikalische Bild, das ich gerade im Kopf habe, umsetzen.

Nun steht Heiner Goebbels "Schwarz auf Weiß" im Schauspiel auf dem Programm. Was bedeutet dieses Stück für Sie?

Dieses Stück aus dem Jahr 1996 war eines meiner ersten in der Zusammenarbeit mit Heiner Goebbels. Seinerzeit hatte ich gemeinsam mit Willy Bopp das Sounddesign erstellt und habe bislang bei allen Aufführungen die Klangregie geführt - dies ist ja eine Besonderheit bei Heiner Goebbels, er möchte immer und kontinuierlich mit den gleichen Personen zusammen arbeiten. Darum heißt es auch: Schwarz auf Weiß für 18 Musiker des Ensemble Modern.

Verglichen mit anderen Goebbels-Stücken scheint das ein eher unaufwändiges zu sein. Es gibt Opern von ihm, für die 50 Mitwirkende mit eigenen Mikrofonen ausgestattet werden müssen, hier sind es nur 18. Für Sie also keine Herausforderung?

Vor zehn Jahren war das eine relativ komplexe Aufgabe, heute aber macht das keine Probleme mehr. Damals galt es, 40 Kanäle zu steuern, bei der von Ihnen angesprochenen Oper Landschaft mit entfernten Verwandten sind es 100. Da hat man einen Chor, Solisten, einen Orchestergraben, und natürlich ein anderes Budget. Aber dass diese Oper vier Sattelschlepper benötigt zum Aufbau, hat am wenigsten mit der Tontechnik zu tun.

In der Regel dürften Sie sich besser mit Tontechnik auskennen als der Komponist. Goebbels aber soll auch einiges davon verstehen, heißt es.

Das stimmt auf jeden Fall. Und das macht es für mich gleichermaßen einfacher und spannender. Mit Heiner muss ich bestimmte Dinge gar nicht mehr diskutieren, er weiß einfach Bescheid. Allerdings setzt er als Komponist dann seine Erwartungen und Forderungen nicht unten, sondern oben an, weil er eben weiß, was geht.

Wenn man frühe elektronische Werke von Karlheinz Stockhausen hört, kann man einen gewissen Zahn der Zeit nicht leugnen - sie klingen oft hörbar alt. Hat dieses Schicksal auch ein zehn Jahre altes Werk von Goebbels? Wir heute sind ja andere elektronische Klänge gewohnt als damals.

Das stimmt. Doch ein grundsätzlicher Unterschied ist: Goebbels' Stücke sind freier als die von Stockhausen. Stockhausen schreibt eine bestimmte Technik vor, etwa Ringmodulatoren oder Zuspielbänder, also ein festes Material. Der Klang bei Goebbels aber kann ein Klang von heute sein, ich verwende ihn so, wie ich ihn brauche. Darum kann es heute anders klingen als 1996. Ähnlich zwar, aber doch geprägt und verwandelt durch all die Musik, die Heiner und ich in diesen zehn Jahren gehört haben. So etwas wird aber mehr und mehr auch mit Stücken von Karlheinz Stockhausen passieren, denke ich. Noch allerdings ist jede Aufführung an ihn und seine Leute gebunden.

Stockhausens Musik kann sich also erst nach seinem Tod weiter entwickeln?

Das wird so sein, ja. Er führt seit jeher zu wenige Musiker an seine Stücke heran, was auch mit ein Grund war, warum ich nach einer gewissen Zeit keine weitere enge Zusammenarbeit mit ihm mehr suchte. Es hätte Jahre gebraucht, bis ich Stücke mit seiner Erlaubnis hätte alleine aufführen dürfen. Das hätte mir wirklich zu lange gedauert.

Interview: Stefan Schickhaus, Frankfurter Rundschau, 28.12.2005