LOST HIGHWAY

Olga Neuwirth
LOST HIGHWAY


Musikalische Leitung: Karsten Januschke
Inszenierung: Yuval Sharon
Klangregie: Norbert Ommer
Live-Elektronik: Markus Noisternig, Gilbert Noune

Lost Highway endet, wie es beginnt ”Dick Laurent is dead”, spricht eine Stimme in die Gegensprechanlage, im Film ebenso wie im Musiktheater. Aber wie geht die Geschichte nun aus? Ist sie tatsächlich schon zu Ende? Hat sich dieses rätselhafte und erratische Geschehen im Kreis gedreht? Lost Highway bringt durch non-lineares und brüchiges Erzählen das an chronologisch fort-schreitenden Zeitab1äufen geschulte Erleben durcheinander. Das kann ziemlich verwirren, wie Olga Neuwirth feststellt: ”Diese unbarmherzigen (Zeit-) Schleifen, die einen verrückt machen können, wenn man einmal auf ihnen drauf ist, waren eine grundsätzliche kompositorische Herausforderung”. Wo der Film sein rätsel-haftes Geschehen entfaltet und eine verstandesgeleitete Rezeption herausfordert, nämlich beim Unerklärlichen und Unaussprechlichen, da setzt das Musiktheater an-insbesondere mit seinen nicht-sprachlichen Medien. Das Problem von Bildern und K1ängen ist, dass sie etwas Metaphorisches an sich haben Sie verdichten einen ganzen Vorstellungskomplex und werden zu einem Bild/Ton-Geflecht für ein ganzes Bedrohungsszenarium, erläutert Olga Neuwirth in der Partitur von Lost Highway und berührt dabei einen wirkungsästhetischen Faktor.

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Das Bild-/ Ton-Geflecht verweist auf jene kommunikativen Potenziale von Bild und Klang, die jenseits von Bedeutung und zusätzlich zur dargestellten Handlung im szenischen Raum wirken. Olga Neuwirth komponiert einen audiovisuellen Er-fahrungsraum ohne Notausgang. Da es in Lost Highway von Anfang bis Ende keinen Ausweg gibt, soll das Video in Korrelation mit dem Ton einen konstant flack-ernden Klang-Bild-Raum bilden. Dieses permanente F1ackern, das alle Anwesenden umgibt, könnte ein solches Szenario der Bedrohung hervorrufen. Etwas Beun-ruhigendes liegt in der Luft, könnte man sagen. Oder anders gesagt dieser virtuelle Klang-Bild-Raum, den man nicht distanziert wahrnimmt, sondern [... ] in dem man sich befindet, evoziert-in den Worten Gernot Böhmes-eine Atmosphäre.

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Nach dem Phänomenologen Böhme findet der Begriff Atmosphäre seit dem 18.Jahrhundert metaphorisch für ”emotionale Tönungen eines Raumes” Verwendung, man spricht zum Beispiel von warmen oder kalten, guten oder schlechten, ernsten oder heiteren Atmosphären. Sie ”stimmen” oder ”tönen”den Raum, vermitteln den im Raum anwesenden Subjekten Befindlichkeiten und vermögen Gemütszustände zu verändern. Obwohl Böhmes Wahrnehmungstheorie der Atmosphären nicht auf den ästhetischen Bereich beschränkt bleibt (er spricht auch über die Atmosphäre von Mprgendämmerungen, Sonnenuntergängen und öffentlichen Räumen), betont er deutlich ihre Herstellbarkeit, konstatiert eine Nähe zwischen Atmosphären und jenen Orten, ”wo etwas inszeniert wird”. Speziell spricht er dem Bereich des Bühnenildes wie Sound und Licht als materielle Bedingungen hierfür entscheiden-des Potenzial zu.

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Ließe sich also eine Verbindung herstellen zwischen Olga Neuwirths Rede von ein-em Bedrohungsszenarium und flackernden Klang-Bild-Räumen auf der einen, Böhmes Argumentation von im Raum spürbaren Atmosphären und ihrer Machbarkeit mittels Sound und Licht auf der anderen Seite? Ist die Komponistin in Lost Highway (auch) eine Atmosphären-Macherin? Der Klang-Bild-Raum von Lost Highway entsteht durch eine technisch hoch an-spruchsvolle Sound-und Videodisposition. Eine komplexe Anordnung zahlreicher Lautsprecher und Subwoofer um Bühnen-und Publikums-raum ermöglicht den Ton-technikern, den Klangraum dynamisch zu gestalten und sekundengenau aus-komponierte Raumeffekte umzusetzen. Auch den Videoeinspielungen kommt eine werkkonstituierende Funktion zu, wie Neuwirth in der Partitur erläutert: ”Der Einsatz von Video ist nicht als Dekor gedacht, sondern als integrativer Bestandteil des Bühnenraumes, bzw. das Video kreiert erst den Bühnenraum!” Leinwände lassen eine weitere Raumdimension im architektonischen Raum entstehen. während aus der durchgehenden Projektion ein virtueller Lichtraum resultiert. Bei den Ab-und Aufblenden, die szenische Zäsuren markieren, werden Klang-und Lichtraum miteinander in Bezug gesetzt. Bei Abblenden erführt der akustische Raum eine Erweiterung: ”schnelle Blende auf alle Lautspre- cher im Raum”.

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Bei Aufblenden hingegen zieht er sich zusammen:"Kontraktion des Raumes (zurück zu den Bühnenlautsprechern)”. Damit korreliert die visuelle Raumgestaltung, wie sich anhand der Takte 59 bis 61 erläutern läst. Auf-und Abblende wechseln einander taktweise ab. Die Aufblende in Takt 59 endet mit einem kurzen Dialog zwischen Fred und Renee (Renee: ”It must be from a real estate agent.” Fred:"Maybe"). Mit Takt 60 folgt eine visuelle Abblende, der Klangraum wird erweitert. Im Ensemble klingen Sopransaxofon und A-Posaune, die elektronisch mit Vibrato, Hall, Delay-und Modulationsschleifen verändert durch den Gesamtraum bewegt werden. Zusätzlich werden vorproduzierte Sounds ein-gespielt ein tief-bis mittelfrequentes Brummen, das im Bereich von circa 250 bis 500 Hz die höchste Dichte aufweist und den Eindruck eines metallen haltenden Raumes evoziert, und ein Kratzgeräusch mit fließenden Übergängen in hochfre-quentes Klirren und Rascheln, das erst einen Frequenzbereich von circa 100 bis über 10000 Hz abdeckt und etwa bei 3000 Hz ausklingt. Diese Sounds breiten sich über Lautsprecher und Subwoofer ins Publikum aus. Nach rund fünfzehn Sekunden wird bei der Aufblende in Takt 61 der akustische Raum wieder auf die Bühnenlautsprecher zusammengezogen, die Geräuscheinspielung endet. Ein Dialog (Fred: ”Were you reading the other night?.-"Renee: ”What night?”) setzt das Geschehen mit den genannten und neu einsetzenden Instrumenten fort, ehe nach rund 30 Sekunden mit der Abblende in Takt 62 eine erneute Expansion des akustischen Raumes mit Geräuscheinspielung folgt. Gerade die tieffrequenten Geräuscheinspielungen können zur Gestaltung einer potenziell bedrohlichen Atmosphäre beitragen. Tiefe Frequenzen, wie Brummen oder Dröhnen, haben eine suggestive Wirkung, die sich vor allem das Sounddesign im Film seit circa 1970 zunutze macht.

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Der Filmwissenschaftlerin Barbara F1ückiger zufolge finden Bassfrequenzen, die am Rande der Hörwahrnehmung liegen, in Zusammenhang mit Angst, Bedrohung oder Anspannung derart häufig Verwendung, dass durchaus von einem Stereotyp gesprochen werden kann. Im Gegensatz zum Film, wo das Sounddesign meist in der Phase der Postproduktion stattfindet, werden im Musiktheater live-elektronisch veränderte Ensembleklänge, Stimmen und Sound- einspielungen (um das Offensichtliche zu nennen) vom Tontechnikerteam im Moment der Aufführung zu einem Klangraum geformt. Videos sollen trotz Ab-und Aufblenden laut Partitur ”das gesamte Stück lang” durchlaufen: Dazu heißt es in einer Anmerkung zur Abblende in Takt 6o: ”heißt aber nicht Video aus, sondern nur plötzlich dunkles Flimmern (Textur)-gilt für alle Abblenden/Aufblenden”. Ein fortdauernd projiziertes F1ackern, oder In-tensitätsschwankungen der Lichtstärke, grundiert die optische Raumgestaltung. Der Begriff der Textur verweist auf den visuellen Wahrnehmungsprozess dieser Helligkeitsvariationen. Dieses Flimmern, ein ”Geschehen ohne phänomenal be-stimmbares Etwas, das geschieht” (Martin Seel) kann das wahrnehmende Subjekt ängstigen, unterläuft es doch Wahrnehmungskonventionen, die auf gestaltete Inhalte geschult sind. Objekte, auch Licht-und Klanggestalten identifizieren und benennen zu können, wirkt beruhigend, weil wir sie so unter Kontrolle zu haben glauben. Insbesondere unsere Wahrnehmungsmodi Hören und Sehen erschließen uns die Welt und bestimmen unser Erleben. Rauschen und Flimmern hingegen beun-ruhigen, weil uns (Wieder-) Erkennung und damit auch sprachliche Kontrolle darüber versagt bleiben. Das Geflecht aus Geräuschen und F1ackern des virtuellen Licht-Klang-Raums nimmt die Anwesenden distanzlos in Beschlag, fordert Wahrnehmungskonventionen heraus und affiziert dafür umso mehr den Körper.

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Durch ein ”schreckliches Raumgefühl”, sagt Neuwirth, müssten sich die Schauspieler und Sänger bewegen, und mit ihnen auch die Rezipienten, mit denen sie diesen atmosphärisch gestimmten Raum teilen. Der Atmosphärebegriff zielt vor allem auf eine Wahrnehmung, die nicht nur mit den Ohren und Augen erfolgt, sondern mit dem Körper. Und genau darin liegt die Qualität des Musiktheaters und seiner im vergänglichen Moment der Aufführung leiblich anwesenden Darsteller und Zuschauer, die umgeben werden von einer kom-ponierten Atmosphäre der Bedrohung, die im wahrsten Sinne unter die Haut geht und damit auf weiteren Wahrnehmungsebenen die irritierende Erzählstruktur von Lost Highway potenziert.
Text von Eisabeth van Treeck

Für die Gestaltung des klanglichen Raumes in den Bühnenraum wurden Lautsprecher in allen Koordinaten designt. Dieses Design ergibt sich aus der Partitur, den Begrenzungsflächen sowie Funktionsebenen im Raum/Bühnenbild. Diese Ebenen bestanden aus Lautsprechern im Orchesterbereich, unter der Zuschauerplattform, im Bereich der Gesangsolisten und des Videos im Bühnenbild und einer ”Glocke” über dem gesamten Zuschauerraum. Hierzu mussten ca. 100 Audioeingänge und 60 Audioausgänge live gemischt werden.

Die Frankfurter Rundschau schrieb:
...Wie das alles mit dem live-elektronischen Sounddesign (Markus Noistering, Gilbert Nouno, Norbert Ommer) und den minuziös arrangierten Bühnenbild-, Video- und Lichteffekten abgestimmt ist (Jason A. Thompson, Kaitlyn Pietras), musste geradezu als mirakulös wahrgenommen werden.

Die Offenbacher Post schrieb:
...Jedes Wort, gleich ob gesprochen oder gesungen - gespielt wird in englischer Sprache mit Untertiteln – ist klar verständlich. Ob der elektronischen Verstärkung der Gesangssolisten wie auch des ungefähr dreißigköpfigen, von Karsten Januschke exzellent präparierten Orchesters, lösen sich Klang und Quelle voreinander ab.

Die Offenbacher Post schrieb:
...Stark ist die Musik, die vom Ensemble Modern (Leitung: Karsten Januschke) dem Sounddesign und der Live Elektronik (Markus Noisternig, Gilbert Nouno) sowie der Klangregie (Norbert Ommer) geprägt war. Hier zeigten sich die kompositorischen Stärken dieser Musikcollage, man könnte auch von einem Klang-Bildraum-Theater sprechen.