Kreativer Freigeist

Das Mädchen mit den Schwefelhölzern - Ruhrtriennale

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Eine der bedeutensten Veranstaltungsreihen für zeitgenössische Kunst ist die Ruhrtriennale. Sie bespielt die monumentale Industriearchitektur vor der Metropole des Ruhrgebiets. Hierwerden beein-druckende Spielorte werden zur Kulisse für einmalige Inszenierungen.

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Er realisierte 2013 unter der Regie von Robert Wilson die akustische Umsetzung von Helmut Lachenmanns Opern- Inszenierung „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern" zur Ruhr-Triennale in der Jahrhunderthalle Bochum: Der Tonmeister, Sound-Designer und Klangregisseur Norbert Ommer. Die Komplexität des Wirkungsgrades Norbert Ommers wandelt dabei stetig zwischen den Aufgabengebieten eines Toningenieurs, des studierten Tonmeisters und denen eines kreativen Sound-Designers. Diese als Klangregisseur bezeichnete Spezie beschreibt eine weitestgehend noch unbe-leuchtete wie überschaubare Szene, deren globales inter-disziplinäres Schaffen keinerlei gewerkliche Einordung zulassen. Dies wird nicht zuletzt auch an den außer-gewöhnlichen Projekten und den damit verbundenen Produktionen deutlich, die so-wohl in technischer, räumlich physikalischer wie bisweilen auch finanzieller Hinsicht jegliche konventionellen Grenzen der Machbarkeit zu ignorieren scheinen. Wir durften uns mit Norbert Ommer über seine Arbeit bei der Ruhr-Triennale und der Inszenierung von „Das Mädchen mit den Schwefel-hölzern" unterhalten.

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pma: Wodurch definiert sich die Tätigkeit eines Klangregisseurs im Vergleich zum Handwerk eines Tonmeisters und wie ist Ihr persönlicher Werdegang?

Norbert Ommer: Für mich geht die Arbeit des Klangregisseurs über die des Tonmeisters hinaus. Insbesondere, wenn wir das klassische Arbeits-feld eines Tonmeisters betrachten, wo dieser quasi als Aufnahmeleiter fungiert. In diesem Sinne bedeutet Klangregie die Synthese von den Aufgabengebieten eines Sound-Designers, Toningenieurs und Tonmeisters. Dies beziehe ich auf die Arbeit, die zu tun ist, bevor ich den Konzert-saal oder den Proberaum betrete wie auch auf den Arbeitsprozess bei Proben und Konzerten. Zunächst gilt es ein Sound-Design zu erstellen, somit also um die Arbeit eines Klanggestalters. Ich betrachte Sound-Design als kompromisslose Umsetzung von Partitur, Raumakustik und Elektronik. Wenn ich ein Sound-Design erstelle, so gibt es zwei große Aufgabengebiete-die Erstellung eines Anforderungsprofils sowie die Projektierung.

pma: Arbeitet man als Klangregisseur zu einem gewissen Teil auch kom- positorisch an einem Werk mit-in welchem musikstilistischem Umfeld bewegen Sie sich vorwiegend?

Norbert Ommer: Ja tatsächlich, das ist eine interessante Frage. Man kann die Arbeit des Klangregisseurs durchaus auch als kom- positorisch beschreiben Der Klangregisseur ist aber kein Komponist, sondern ist eher als em Übersetzer des Komponisten zu verstehen. Er kann Klänge hörbar machen, die ohne Zuhilfenahme von Elektronik nicht zu hören sind. Er kann ganz eigene Klangwelten schaffen, sozusagen imaginäre Räume.Ich verstehe meine Aufgabe so, dass ich nach bestem Wissen versuche, die Ideen und Klangvorstellungen des Komponisten umzusetzen und dies in den ungewöhnlichsten Umgebungen. Mein musikalisches Umfeld bewegt sich derzeit, wenn wir die klassischen Definitionen verwenden, in der Klassischen Musik und Neuen Musik sowie im Jazz. Im Bereich der Klassischen Musik waren es vor allem Projekte mit Zubin Meta, Kurt Masur und den Berliner Philharmonikern unter Leitung von Sir Simon Rattle an denen ich mitgewirkt habe. Im Bereich der Neuen Musik gilt es vor allem meine Arbeit als Klangregisseur des Ensemble Modern zu unterstreichen sowie die Zusammenarbeit mit Komponisten wie Karl Heinz Stockhausen, Helmut Lachenmann, Peter Eötvös, Heiner Goebbels und Steve Reich, um nur einige wenige zu nennen. Im Bereich des Jazz bin ich seit vielen Jahren Klangregisseur für die WDR Big Band. Aus diesem Kontext entstand z.B. auch die Arbeit mit Musikern wie Lalo Schifrin, Patti Austin, Michael Brecker, Joe Zawinul, Vince Mendoza und vielen anderen. Gerade aus einem solchen Verständnis heraus fallen mir dann natürlich auch außergewöhnliche Projekte leichter, wie z.B. als die Berliner Philharmoniker zusammen mit dem Lincoln Center Jazzensemble mit Sir Simon Rattle und Wynton Marsalis auftraten und dies nicht etwa in einem Konzertsaal, sondern in einer Arena! Darüber hinaus bin ich auch lehrend tätig als Dozent für Klangregie an der Hochschule für Musik und Darstelle Kunst in Frankfurt am Main.

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pma: Bei Ihrer Arbeit zur Aufführung von „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern" haben sie ein äußerst komplexes, einzigartiges Beschallungskonzept entworfen. Ist so Installation auch Teil des Gesamtkunstwerkes oder hat das ebenso mit Zweckgebundenheit zu tun, die den akustischen und physikalischen Gegebenheiten des Veranstaltungs-ortes geschuldet ist?

Norbert Ommer: So wohl als auch. Man sieht zum einen ein Gesamt-kunstwerk, in welchem auch das Sound-Design zu sehen ist, ein spezielles für diese Aufführung entwickeltes Design. Und gleichzeitig war es auch zweckgebunden, da der Aufführungsort eine Industriehalte aus dem vergangenen Jahrhundert gewesen ist und kein Konzertsaal, für den das Werk vom Komponisten ursprünglich geschrieben wurde. Aber in der Zweckgebundenheit können auch Möglichkeiten für eine exzeptionelle Aufführungspraxis entstehen. Die Grundfrage bei der ersten Begehung des leeren Raumes und der Sichtung der Partitur war natürlich: Ist eine musikalische Aufführung möglich, die dem Werk und dem Komponisten gerecht werden kann? Hier muss man dann über genügend Erfahrung verfügen, um eine Vorstellung zu entwickeln, wie und mit welchen Mitteln eine musikalische Aufführung gewährleistet werden kann.

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Das bedeutet auch, dass es nicht nur Entscheidungen über den richtigen Einsatz der Elektroakustik zu fällen gilt, sondern auch darüber, wie und mit welchen Mitteln die anderen Gewerke arbeiten. Zum Beispiel war zu überlegen, mit welcher Hörschwelle in einem Industrieraum bei Verwendung aufwendiger Bühnen-und Lichttechnik zu rechnen ist. Dies war besonders bei dem „Mädchen mit den Schwefelhölzern" entscheidend, da das Werk sehr geräuschhafte Elemente in der Musik enthält und sich über große Strecken an der Hör-schwelle bewegt.

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In einem normalen Konzertsaal Klänge zu musizieren, die geräuschhaft sind und sich gerade an der Hörschwelle bewegen, ist das eine. Dies aber in einem Industrieraum ohne jegliche Akustik mit Geräuschquellen, wie beweglichen Scheinwerfern, Nebelmaschinen und Bühnenmechanik herzu-stellen, ist etwas völlig anderes. Also stellte sich hier die Frage, wie lassen sich diese Störquellen ausschalten oder minimieren? Hierzu wurden z.B. die Bühnenmaschinerie akustisch vom Aufführungsraum abge-koppelt und nur Scheinwerfer verwendet, die möglichst wenig Geräusche verursachen. Des Weiteren war auch zu beachten, wie sich das Bühnen-bild, welches zugleich auch der Zuschauerraum gewesen ist, akustisch verhält. Die Tribüne wurde in einem Raum-in-Raum-Konzept von mir kon-zipiert. An einigen Stellen wurde sie großflächig so behandelt, dass sie stark absorbierend wirkte und zum anderen als Bassreflexsystem anzusehen war-und zwar so, dass die Optik nicht beeinträchtigt wurde. Neben der Elektroakustik wurden auch für die sogenannte „Erste Wellen-front" Schallsegel installiert, um zumindest etwas Direktklang vom Orchester zu erhalten. Erst nach diesen o. g. Maßnahmen wurde eine Elektroakustik installiert, die eine perfekte Schallverteilung ge-währleistete und zugleich an allen Hörorten richtungsbezogen war. Aus einem ungewöhnlichen und anspruchsvollen Konzertort, mit seinen Sachzwängen, wurde also trotzdem eine besondere und für das Werk richtungsweisende Hörumgebung geschaffen.

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pma: Wie wichtig ist es Ihnen veranstaltungs-wie studiotechnisch auf dem Laufenden zu bleiben -gibt es Equipment wie beispiels- weise Pult, Mikrofonierung oder PA System auf welches Sie erfahrungs- gemäß vertrauen?

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Norbert Ommer: Auf dem Laufenden zu bleiben ist extrem wichtig. Da ich so viele und ebenso unterschiedliche Projekte begleiten kann habe ich das Glück, immer mit dem neuesten Material arbeiten zu dürfen. Hieraus ergibt sich ein stetiges "Lernen", mit neuem Equipment umzugehen, was ich persönlich als ganz erfrischend empfinde. Es gibt natürlich auch Mikrofone, Mischpulte und Lautsprechersysteme, die ich immer wieder gerne verwende. Diese sind aber nicht an einen Hersteller gebunden und werden von mir projektbezogen ausgesucht.

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pma: Mit Ihrer Veranstaltungsreihe „Basislager" und zahlreichen Gastvorträgen, was die Erforschung und Einsatz von Klängen sowie deren akustische Umsetzung anbelangt, sind Sie ebenso wissenschaftlich lehrend tätig. Welche Bedeutung hat das Thema Fortbildung bei und wie sehen Sie den derzeitigen Entwicklungsstand der Ausbildungssituation in Deutschland?

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Norbert Ommer: Wir können in Deutschland sehr froh über die Ausbildungs-möglichkeiten sein. Diese sind nirgendwo auf der Welt besser. Für den Fall, dass sich ein junger Mensch für das Fach „Sound” interessiert, kann er den Weg als Veran-staltungstechniker, Toningenieur und Tonmeister einschlagen und dies zum Teil auch an privaten Schulen. Viel entscheidender aber ist, was jeder persönlich aus seinem Weg macht oder machen möchte. D.h. vor allem auch, wie viel Eigeninitiative der Student/-in mitbringt und sich um möglichst viel Praxis in den unterschiedlich-sten Disziplinen kümmert. Es geht darum, wach zu bleibe (hiermit meine ich eine gei-stige Frische, Aufgeschlossenheit für das, was um einen herum passiert) und auch zu sehen, was einem selber Spaß macht. Denn vor allem Spaß bei dem, was ich tue, d.h. die Leidenschaft dafür, führt zum Erfolg.

Text: Ray Finkenberger-Lewin

Fotos Ralph Larmann, Norbert Ommer

Dieser Artikel ist im PMA Sonderheft Theatertechnik 2019 erschienen PMA (Das Reportage-Magazin für die Veranstaltungstechnik)