Hören mit der Lupe (FAZ)

Hören mit der Lupe

Interview mit Norbert Ommer im Dezember 2020 beim Festkonzert in der Alten Oper Frankfurt.

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Kabelverlegen für Steve Reich oder fünf Mikrofone für einen Kontrabassisten zwischen Tänzern: Norbert Ommer löst als Klangregisseur jede Aufgabe, nicht nur beim Ensemble Modern.

Norbert Ommer studierte Klavier und Klarinette in Köln sowie Musik und Nachrichtentechnik in Düsseldorf. Während des Studiums war er freier Tonmeister für Rundfunk und Fernsehen, seit 1990 arbeitet er mit dem Ensemble Modern in Frankfurt zusammen, zu dessen Gesellschaftern er seit 1997 zählt. Er ist für die WDR-Bigband, die Berliner Philharmoniker, die hr-Bigband und das hr-Sinfonieorchester tätig und hat mit Komponisten wie Frank Zappa, Heiner Goebbels, Steve Reich und Helmut Lachenmann zusammengearbeitet. Seit 2003 ist er Dozent für Klangregie an der Internationalen Ensemble Modern Akademie und der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt, seit 2019 unterrichtet er an der Hochschule der Künste in Berlin.

Herr Ommer, was Sie als Herr der Mikrofone, Schieberegler, Knöpfe und Lautsprecher leisten, können am ehesten Ihre Kollegen ermessen. Noch im Studium, lange bevor der Verband Deutscher Tonmeister Sie mit dem „Goldenen Bobby“ auszeichnete, haben sie für Karlheinz Stockhausen gearbeitet, Pionier im Feld zwischen Musik und Elektronik.

Stockhausen war der erste bedeutende zeitgenössische Komponist, mit dem ich arbeiten durfte. Für ihn war ich so eine Art Assistent, habe ausgeführt, was er sich vorstellte. Er hat mit immensem Perfektionismus gearbeitet. Im Studium habe ich das technische Herangehen gelernt, von Stockhausen das künstlerische. Er hat mir sozusagen Antennen aufgesetzt für Aspekte, die man als Toningenieur kaum wahrnimmt.

2002 erhielten Sie dann den „Goldenen Bobby“. Soweit ich sehe, wurde der Preis erstmals und letztmals in der Kategorie „Szenische Darbietung bei wesentlicher Mitwirkung eines Tonmeisters“ vergeben.

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Die Kategorie wurde extra für mich geschaffen. Auslöser war mein Anteil an „Three Tales“ mit der Musik von Steve Reich und dem Video von Beryl Korot. Inhaltlich geht es um drei Ereignisse, die die Bewertung von technischem Fortschritt verändert haben: die Explosion des Zeppelins „Hindenburg“, die Atomversuche im Bikini-Atoll und das geklonte Schaf Dolly, das früh eingeschläfert werden musste, weil ein lebender Körper halt keine Maschine ist. Reich wünschte sich ein Sounddesign, das man mit wenig Aufwand an verschiedenste Aufführungsorte anpassen konnte. So wurden etwa alle Live-Musiker, sie kamen von den Londoner Synergy Vocals und dem Ensemble Modern, einzeln verstärkt. So konnte ich sie der Konzertsituation individuell anpassen. Steve wollte aber auch, dass die Zuschauer kein Mikro sehen und erst recht nicht über Kabel stolpern. Da muss man wissen, wie man das löst. Um das Video zu unterfüttern, hatte er historische Aufnahmen von Geräuschen und Tondokumente zusammengetragen: Propellergeräusche vom Zeppelin, technikbegeisterte Beiträge von Nachrichtensprechern und keineswegs begeisterte von Bikini-Einwohnern, über deren Schicksal verfügt wurde. Das waren naturgemäß schadhafte Dokumente, die ich zuerst einmal aufbereiten musste. Ich habe alle Klänge so bearbeitet, dass es nicht nur bunt, sondern auch „gut“ klang und so genau wie möglich mit dem Video in Einklang kam. Im Konzert habe ich dann während des Partiturlesens sechzig Kanäle live abgemischt.

Auf Ihrer Internetseite schreiben Sie: „Für mich bedeutet Klangregie, dass ich Sounddesigner, Toningenieur und Tonmeister in einer Person bin.“ Sie passen also zunächst einmal auf, dass man neben der Tuba auch noch die Geige hört. Haben Sie solche Lautstärke-Verhältnisse nicht in irgendeiner Matrix gespeichert?

Nein, das geht nicht. Eine Geige oder Tuba klingt in jedem Raum anders.

Darf sie das nicht? Darf der Raum nicht mitspielen, so wie er ist?

Ja, der Raum soll sogar mitspielen. Man muss nur Folgendes wissen: Wenn jemand sagt, dieser oder jener Konzertsaal sei ein „guter“ Raum, dann muss man fragen: Wofür? Die meisten dieser Konzertsäle sind für große Orchester des 18. und 19. Jahrhunderts gebaut. Kleinere Besetzungen muss man näher an den Zuhörer heranholen.

Ein Beispiel?

In dem Stück „Fury 2“ von Rebecca Saunders im Projekt „Story Water“ mit Emanuel Gat Dance stand der Kontrabassist Paul Cannon von Tänzern umgeben in der Mitte der Bühne. Unter akustischen Bedingungen hätte man ihn unter all dem Trappeln und Atmen gar nicht gehört. Da habe ich an verschiedenen Stellen seines Instruments und am Notenständer insgesamt fünf Mikros angebracht. Rebecca arbeitet ja auch mit der Tatsache, dass so ein Instrument überall anders klingt. Sie war total happy, dass ich dieses „Hören mit der Lupe“ auch in der Freiluft-Situation im Papstpalast von Avignon und im Frankfurt Lab für alle Zuhörer erlebbar gemacht habe.

Auf Ihrer Website beschreiben Sie einen Klangregisseur als „Übersetzer des Komponisten“: „Er kann Klänge hörbar machen, die ohne Zuhilfenahme von Elektronik nicht zu hören sind.“ Übernehmen Sie damit nicht Aufgaben, die eigentlich der Komponist hätte lösen müssen? Die traditionelle Lehrmeinung sagt ja: Wer als Komponist etwas verlangt, das sich auf einem Instrument nicht realisieren lässt, ist ein schlechter Komponist.

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Ich verstehe meine Aufgabe so, dass ich nach bestem Wissen versuche, die Ideen und Klangvorstellungen des Komponisten umzusetzen. Auch in den ungewöhnlichsten Umgebungen.

Sie haben Erfahrungen mit den avanciertesten zeitgenössischen Komponisten, mit dem Ensemble Modern, den Berliner Philharmonikern, der WDR-Bigband und vielen anderen gesammelt. Die geben Sie in der Internationalen Ensemble Modern Akademie an junge Klangregisseure weiter. Sind Sie ein strenger Lehrer?

Wer an der Akademie angenommen wird, hat schon einige Semester Tonmeisterstudium hinter sich und ist bereits sehr gut in seinem Fach. In dem sehr intensiven gemeinsamen Jahr vergrößere ich ihren oder seinen Spaß an der Sache durch den Spaß, den ich an der Sache habe. Spaß und Leidenschaft sind das Entscheidende.

Artikel aus der FAZ vom 16.11.2020
Text von Doris Kösterke

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