Fünfhundert Dateien

Der Mann am Synclavier: Das Ensemble Modern interpretiert richtungsweisend Frank Zappas Musik zu seinem zehnten Geburtstag

Put a Motor in Yourself: Das dauert fünf Minuten und 21 Sekunden und ist von einer ruhelosen, perkussiven Motorik geprägt, wie bei dem Titel ja nicht anders zu erwarten. Frank Zappa, der vor zehn Jahren, am 4. Dezember 1993, starb, hatte das Stück am Synclavier komponiert, zuerst veröffentlicht wurde es nach seinem Tod auf dem Album Civilisation Phase III. Dass es jetzt, vom Ensemble Modern gespielt, in einer differenziert ausgearbeiteten orchestralen Version zu hören ist, hängt mit mehreren größeren Erstaunlichkeiten und kleinen Wundern zusammen.

Das Ensemble Modern war Zappas letzte Band. Mit dem Programm und der CD The Yellow Shark Im September 1992 hatte es ihn als Komponisten zeitgenössischer E-Musik nachdrücklich ins Gespräch gebracht. Gut acht Jahre später hat das Ensemble mit Greggery Peccary & Other Persuasions diese Sicht revidiert: Zappas Musik ist keine E-Musik. Es Ist die virtuose Verarbeitung der Welt durch einen ruhelosen, von der E-Musik der ersten (Varese, Strawinski) und dem Blues, Soul und Rock der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gleichermaßen geprägten Komponisten mit nicht eingrenzbarer Fantasie, der sich tonalen Konservativismus und ein pragmatisches Rock-Kostüm ebenso gestattete wie eine hyperaktive Collagentechnik.

Also nicht E oder U, sondern etwas ganz Eigenständiges. Was man unter anderem daran erkennt, dass Zappa E-Komponisten wie Rock-Musiker inspiriert und dass seine Musik heute in beiden Lagern Konjunktur hat, gleichwohl völlig unterschiedlich rezipiert wird. Was das Ensemble Modern jetzt daraus gemacht hat, ist eine Version, die keinem der beiden Lager ganz, dafür aber Frank Zappa selbst gerecht werden kann.

Die erste Erstaunlichkeit bei der Entstehung dieser CD fängt damit an, dass im Jahre 2000 kein Plattenverlag bereit war, eine orchestrale Zappa-CD zu produzieren. Dass der Yellow Shark das kommerziell bis dato erfolgreichste Projekt des Ensemble Modern gewesen war und man erwarten konnte, an diesen Erfolg anzuknüpfen, dämpfte nicht die chronische Angst der Branche vor Neuem. So übernahm das Ensemble selbst das Risiko der Produktion und spielte mit dem Klangregisseur Norbert Ommer, dem Dirigenten Jonathan Stockhammer und den Gast-Vokalisten David Moss und Omar Ebrahim die Musik im Juli 2002 in Frankfurt im Hermann-Josef-Abs-Saal ein.

Das zweite kleine Wunder war die sehr spezielle philologische Arbeit, die Ali N. Askin leistete, um aus Zappas Musik etwas zu machen, was für ein Instrumentalisten-Ensemble spielbar war und immer noch nach Zappa klang. Zappa hatte sich 1982, nach ausgiebigen Erfahrungen mit Orchestern, die seine Musik spielten, aus einer wohl begründeten Resignation heraus ein Synklavier angeschafft und war von der Idee angetan, nicht mehr mit ausführenden Musikern als technischen Schranken für seine Ideen arbeiten zu müssen. Er ging dazu über, statt Noten aufs Papier zu schreiben nur noch ins Synclavier zu komponieren. Bis zu seinem Tode entstand ein Opus von gut 500 Dateien. Für die Bearbeitung des Nachlasses wurde die inzwischen veraltete Technik des Synklaviers ein Problem. Todd Yvega und All N. Askin ist es zu verdanken, dass aus den Dateien spielbare Arrangements geworden sind.

Spielbar? Wie man's nimmt, denn dies ist das dritte kleine Wunder: dass Stücke wie Moggio oder Beltway Bandits oder die titelgebende bizarre Mini-Oper Greggery Peccary ohne die technische Kälte, die den elektronischen Zappa: Greggery Peccary & Other Versionen anhaftet, daherkommen, mit einem feingliedrigen orchestralen Klang, über all die rasanten Tempo-, Klangfarben- und Stimmungswechsel hinweg so groovend und aufgeweckt, dass man geradezu Spielfreude hören kann, die zu der enormen Spielkultur dazukommt. Und eben nicht die Mühe und Arbeit, die sich Orchestermusiker früherer Zeiten mit Zappas Musik machten. Der Motor ist eingebaut. Der pulsierend lebendige, performative orchestrale Ton ist etwas, das bisher nur das Ensemble Modern Zappas Musik geben konnte.

Frankfurter Rundschau, Hans Jürgen Linke, 4.12.2003