Bremse eines schrägen Ottos

Konzerte der Internationalen Ensemble Modern Akademie

Die Internationale Ensemble Modern Akademie ist mit ihren künstlerisch hochkarätigen Stipendiatenkonzerten aus dem Frankfurter Musikleben nicht mehr wegzudenken. Die hohe Publikumsakzeptanz beweist es. Im mittlerweile mehrtägigen Festivalformat wird in schöner Regelmäßigkeit an unterschiedlichen Orten über den Leistungsstand ihres interpretatorischen, kompositorischen und auch musiktechnologischen Nachwuchses bestens informiert. Der künstlerische Ertrag spiegelt zugleich den hohen Ausbildungsstandard der in der Akademie Lehrenden Ensemble-Mitglieder - allesamt nach wie vor ausgeprägte Charaktere und Überzeugungstäter, denen jeder professorale Habitus zum Glück fehlt: Frei nach John Cage ist keine Magnifizenz die beste Magnifizenz.

Das künstlerische Tonmeisterstipendium ist zudem ein Ausbildungsnovum. Unter den Fittichen von Norbert Ommer, Ensemblemitglied wie die Instrumentalmusiker, bekommen junge Klangregisseure hier ihren Feinschliff. Live-Elektronik, im digitalen Zeitalter mit schier unbegrenzten Möglichkeiten der Klangverarbeitung, ist die zweite Natur der zeitgenössischen Musik. Folgerichtig erhalten die Programme der Stipendiatenkonzerte durch zahlreiche Werke mit Live-Elektronik vermehrt Attraktivität. Komponisten wie etwa Mesias Maiguashca, Jahrgang 1938, aus dem Umfeld von Karlheinz Stockhausen und langjähriger Elektronikstudioleiter an der Freiburger Musikhochschule, erleben hier ein kleine Renaissance.

Am zweiten von drei gehaltvollen Konzertabenden in der Deutschen Ensemble-Akademie und der Hochschule für Musik Frankfurt erklang von ihm vieldeutige Musik aus seinem "Deutschen Requiem" für Saxophon, Klavier, Schlagzeug, Sampler und Elektronik. Mit Spracheinspielungen eines zum Tode verurteilten Juden und eines Nazi-Verbrechers, mit äußerst tief vibrierenden Trommelmembranen, elektronisch verfremdet durch den Raum geschickt, Stoppklängen des präparierten Klaviers und metallisch schnarrendem Saxophon stellte Maiguashca kompositorisch die Frage nach der Vermittlung von musikalischen Gegensätzen. Im Gegensatz dazu vermittelte der junge Pianist Elmar Schrammel mit der "Collection de petites pièces" des vor kurzem gestorbenen Luc Ferrari zwischen abgehobenem Klavierspiel, Comic-Oper und instrumentalem Theater. Diese szenisch konzipierte Selbstbefragung eines Musikers, wie Ferrari ausführte, bringt mit reichlich Humor das gesamte klavieristische Ausdrucksspektrum der vergangenen 200 Jahre aufs Tapet: ein durchgeschütteltes Lexikon der Motive mit elektronischem Über-Ich und Bremse eines schrägen Ottos.

Neben Musik von Anton Webern, György Kurtág, George Crumb, einem frühen Lachenmann-Trio, das sich werktreu wie ein Schmalhans-"Mouvement - vor der Erstarrung" anhörte, war mit "desert radar" von Sagardía auch eine gewisse politische Komponente präsent. Mit bedrohlicher Pulsation nahm der im gemäßigten Autonomen-Outfit (Kapuzenpulli) daherkommende Komponist zumindest programmhefttextlich auf die amerikanische Flüchtlingspolitik Bezug. Immerhin schaffte es Sagardía, daß das jetzt groß besetzte Stipendiatenensemble während der 20 Minuten Werkdauer zwischen instrumental aufgefächerter Klanglichkeit und urgründigem Rauschen die Konzentration sehr hoch und lange hielt.

In der Musikhochschule erklang dann allzu bewährtes Repertoire neben einer erfrischenden "Frankfurt Musicbox" von Manfred Stahnke, komponiert vor drei Jahren. Polyrhythmik, Pseudokanons und immense Beschleunigungsphasen des sehr fein durchgehörten und afrikanisch eingefärbten Gewebes wären der rechte Ausklang für die drei tollen Konzerttage gewesen. Die schlechte Klassik Krzysztof Pendereckis in dessen fünf Jahre altem Sextett war es nicht (Entstehungsdatum laut Programmheft 1964, da war er aber noch Avantgarde) - ein akademischer Rausschmeißer an akademischem Ort. In György Ligetis Trio für Violine (Anne-Katrin Faber), Horn (Johannes Otter) und Klavier (Marc Tritschler) sowie Pierre Boulez' "Dérive 1" für Flöte (Julia Breuer), Klarinette (Rafael Caldentey Crego), Schlagzeug (Matthias Engler), Violine (Anne-Katrin Faber) und Klavier (Elmar Schrammel) konnten die jungen Künstler dennoch ihre hohen Fertigkeiten abermals unter Beweis stellen.

Frankfurter Allgemeine Zeitung, Achim Heidenreich, 27.02.2006