DAS MÄDCHEN MIT DEN SCHWEFELHÖLZERN (2)

Robert Wilson inszenierte im Rahmen der Ruhrtriennale Helmut Lachenmanns
„Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“.

Sounddesign und Klangregie : Norbert Ommer

Erstmals wurde diese „Musik mit Bildern“, wie Lachenmann seine Komposition nennt, in ihrer ursprünglich intendierten Form aufgeführt:
Instrumentalisten und Sänger umschlossen das Publikum in einem vollständigen Ring.

Hans Christian Andersen ließ sich für „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ von einer Kalenderillustration inspirieren. as Mädchen mit den Schwefelhölzern Hans Christian Andersens Märchen von einem armen Mädchen, das am Sylvesterabend erfolglos versucht, auf der Straße Streichhölzer zu verkaufen und schließlich unbeachtet von ihren Mitmenschen erfriert, wurde mehrfach verfilmt (zum ersten Mal 1902 von James Williamson), literarisch verarbeitet (William McGonagall, Terry Pratchett ...) und auch immer wieder musikalisch interpretiert (August Enna, David Lang ...). Die Uraufführung von Helmut Lachenmanns Interpretation dieses Stoffs fand 1997 in der Hamburgischen Staatsoper statt. Im Rahmen der Ruhrtriennale hat Robert Wilson nun Lachenmanns ursprüngliche Idee, das Publikum durch die Instrumentalisten und Sänger in einem Ring einzuschließen, erstmals in voller Konsequenz umgesetzt.

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Set up

Passend dazu nennt Komponist Helmut Lachenmann seine Interpretation des bekannten Andersen-Märchens
„Musik mit Bildern“. Die Sänger übernehmen hier keine Schauspielrollen. Was sich auch kaum umsetzen ließe, wird das Publikum in der Bochumer Jahrhunderthalle doch von den Sängern und Instrumentalisten in einem Ring eingeschlossen.

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Die musikalische Darbietung bleibt verborgen und findet weit ab der Bühne statt: Das Orchester des Hessischen Rundfunks, die Choristen des ChorWerks Ruhr und die Solisten befinden sich hoch oben im Auditorium, während das Publikum auf steil abfallenden Rängen und durch Musiker und Bühne umschlossen auf das Geschehen blickt. Emilio Pomàrio, Dirigent der Aufführung, ist dementsprechend gezwungen, 32 Sänger, 2 Gesangssolisten, 13 Schlagzeuger und 6 Tonbandspieler sowie 2 Pianisten weitgehend über Monitore anzuleiten.

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Sounddesign

Dass Lachenmanns komplexe Komposition dabei nicht wie die Instrumentalisten und Sänger in den Hintergrund tritt, sondern sogar an Kraft gewinnt, ist auch ein Verdienst von Klangregisseur Norbert Ommer. „Schon die Partitur des Werkes von Lachenmann sieht eine teilweise Instrumentierung in Raum vor“, sagt Ommer. „Für die Ruhrtriennale haben wir dieses Konzept sozusagen weitergedacht.“ Ommers Grundidee für das Sounddesign orientierte sich an zwei Parametern: Zum einen sollten die Klangquellen immer aus der Richtung zu hören sein, in der sie auch aufgestellt waren. Zum anderen mussten aber jede Note und jeder Sound hörbar sein. Was sich als nicht ganz einfach erwies, schließlich setzt Lachenmanns Komposition neuartige Spieltechniken voraus, arbeitet viel mit geräuschhaften
Anteilen und bewegt sich mitunter nah an der Hörgrenze. Erschwerend kam für die Tonregie hinzu, dass es sich bei der Bochumer Jahrhunderthalle nicht um einen herkömmlichen Konzertsaal, sondern um eine Industriehalle handelte. „Wichtig zu beachten war auch, dass der Zuhörerraum nicht in der Abstrahlcharakteristik der Klangquellen lag“, betont Ommer. „Und wir mussten bedingt durch andere Gewerke wie Licht und Bühnentechnik von einer nach oben geschobenen Hörschwelle ausgehen.“ Zunächst galt es herauszufinden, wo im vorhandenen Umfeld die Hörschwelle genau lag und wie weit diese sich elektroakustisch beeinflussen ließ. „Aus meiner Sicht beginnt der kreative Teil meiner Arbeit schon bei den technischen Herausforderungen, das heißt, bei der Erstellung des Sounddesigns“, sagt Ommer. „Weiter geht es dann in der Zusammenarbeit mit dem Komponisten, Regisseur und Dirigenten. Das eine bedingt das andere. Man kann als Klangregisseur nur eine gute Performance abliefern,
wenn man seine Hausaufgaben gemacht hat.“ Essenziell gehören zu diesen „Hausaufgaben“ zunächst das Studium der Partitur und schließlich die Erstellung des Sounddesigns. Was, wie Ommer anmerkt, „unter Umständen bis hin zur
Mitgestaltung des Bühnenbildes reicht“, also etwa Entscheidungen hinsichtlich der verwendeten Materialien einschließt.

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Hörbarkeit

Um trotz der akustischen Herausforderungen von Lachenmanns Partitur beste Hörbarkeit zu garantieren, setzte Ommer auf eine Mischung aus akustischer und elektroakustischer Schallführung: „Um die akustische Schallführung zu erreichen, wurden im direkten Abstrahlwinkel der Instrumente Schallreflektoren aufgehängt, und die direkte Schallführung für die jeweils zugehörige Zuhörerseite wurde von sechs aktiven Lautsprechern übernommen.“ Da es vier Tribünen- beziehungsweise Zuhörerseiten gab, kam hierfür insgesamt 24-malMeyer Sounds UPA-1P zum Einsatz. Die jeweils gegenüberliegenden und seitlichen Bereiche wurden dagegen durch 18-mal dVDOSC-Linearray-Elemente (also insgesamt 72 dVOSC-Linearray-Elemente) versorgt.

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Installation

Da sich im Zuge der Aufführung auch eine Sprecherin sowie eine Sho-Spielerin, die von der Hallendecke herabschwebte, im Zentrum der Zuschauertribünen befanden, wurden hier nochmals 8 mal 6 Kiva-Linearrays geflogen.
Technisch anspruchsvoll war die punktgenaue und fehlerfreie Installation der akustischen und elektroakustischen Elemente nicht zuletzt, da all dies bereits Wochen, bevor der Zuschauerraum fertig gestellt war, vonstattengehen musste. Ommer und seine Kollegen arbeiteten also ohne tatsächlich physisch vollständig präsenten Bezugspunkt.
Eine DME-Matrix diente als zentrale Schnittstelle, mit deren Hilfe eine spezielle, auch verzögerte Ansteuerung aller Lautsprechersysteme designt werden konnte. Als Mischpultsystem kam hingegen eine DiGiCo-SD7-Konsole zum Einsatz. Deren maximale Input-Kanal-Kapazität wurde zwar nicht völlig ausgereizt. Dennoch galt es stolze 150 Kanalzüge zu belegen, um alle Schallquellen einzeln unter Kontrolle zu haben.

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Robert Wilson

Bei der Uraufführung des Stücks 1997 in Hamburg brachte man „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ noch in vergleichbar traditioneller Publikum-Orchester- Konstellation auf die Bühne. Fraglos ist es auch dem US-amerikanischen Regisseur Robert Wilson zu verdanken, dass Lachenmanns Werk nun erstmals in seiner ursprünglich vorgesehenen Form aufgeführt werden konnte. Ommer jedenfalls ist voll des Lobs für seinen renommierten Kollegen: „Es war sehr beeindruckend, mit Robert Wilson zusammenzuarbeiten. Mir ist vor allem seine konzentrierte Kreativität aufgefallen, die ich so selten bei einem Künstler beobachten konnte. Für mich ist es immer sehr erholsam in einer kreativen Umgebung zu arbeiten, in der man sich gegenseitig nicht behindert. Im Fall von ‚Das Mädchen mit den Schwefelhölzern‘ zeichnete sich das dadurch aus, dass mir von Wilson größtmögliches Vertrauen entgegengebracht wurde.“ Und sicher darf man die vielen positiven Reaktionen, mit denen Wilsons Inszenierung von der Presse aufgenomm.

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aus: PMA Das Reportage-Magazin von Florian Zapf